Dauergast in »Hotel Mama«

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ERWACHSEN WERDEN

Die einen können es gar nicht erwarten, endlich in die erste eigene Wohnung zu ziehen. Die anderen wohnen auch noch mit 30 bei den Eltern. Woran liegt das?

GAHSOON / GETTY IMAGES / ISTOCK

Der Kühlschrank ist immer voll, die frische Wäsche liegt im Kleiderschrank, und um Dinge wie Internetanschluss und Stromkosten braucht man sich keine Gedanken zu machen. Das Leben im Elternhaus bringt einige Annehmlichkeiten mit sich. KeinWunder also, dass es jungen Menschen mitunter schwerfällt, daswarme Nest zuverlassen. Laut Statistischem Bundesamt wohnte ein gutes Viertel der 25-Jährigen in Deutschland 2020 noch bei den Eltern – mehr als jeder dritte Sohn und mehr als jede fünfte Tochter.

Claudia Füßler ist Wissenschaftsjournalistin und unterrichtet an der Uni Freiburg im Studiengang Deutsch-Französische Journalistik.

Mal abgesehen von Ausnahmesituationen wie einer weltweiten Pandemie: Was hält junge Menschen zu Hause? Wann ist das »Hotel Mama« besonders verlockend? Und was treibt andere dazu, sich ein eigenes Dach überm Kopf zu suchen?

Die Psychologin Ulrike Sirsch stört sich an dem Begriff. »›Hotel Mama‹ – das impliziert Faulheit und eine gewisse Langsamkeit im Erwachsenwerden«, sagt die Professorin vom Institut für Entwicklung und Bildung der Universität Wien. Dahinter steckt ein Urteil: Da hat sich's jemand gemütlich eingerichtet. Gleichzeitig offenbart der Begriff ein veraltetes Bild vom Erwachsenwerden, gemessen an klassischen Kategorien wie einem festen Beruf, einer stabilen Partnerschaft, eigenen Kindern.

Das Erwachsenwerden dauert länger

Doch die Welt hat sich verändert. Ausbildungen sind komplexer und dauern länger, und dank Verhütungsmitteln gibt es Sex auch ohne Familiengründung. »Außerdem hat Jugendlichkeit und Jungsein in unserer Gesellschaft eine hohe positive Bedeutung, während erwachsen zu sein weniger wichtig scheint«, sagt Entwicklungspsychologin Sirsch. Dadurch verschieben sich bedeutsame Lebensereignisse. Anfang der 1990er Jahre heirateten Frauen in Deutschland im Mittel mit etwas mehr als 26 Jahren, heute sind sie im Mittel älter als 32 Jahre.

Der US-Psychologe Jeffrey Jensen Arnett bezeichnet die Zeit zwischen Jugend und Erwachsensein als »emerging adulthood«, in etwa: Erwachsenwerden. Ihm zufolge spiegelt sich darin der wirtschaftliche Wandel, mit längeren Ausbildungszeiten und dem dadurch bedingten späteren Auszug aus dem Elternhaus. Die Phase dauert ungefähr von 18 bis 25 Jahren, in Europa länger. Die »emerging adulthood« ist typisch für die industriell entwickelten Länder.

Doch auch hier gibt es Unterschiede. »Wir sehen deutlich, dass sich das Auszugsverhalten junger Menschen in Europa in bestimmte Cluster unterteilen lässt«, berichtet Sirsch. Im Mittel sind die Deutschen beim Auszug mit knapp 24 Jahren gut zwei Jahre

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