DIE RADIKALSTE SELBSTBEFREIUNG

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CHRISTINA VON SCHWEDEN

Religion, Sex, Königskrone: Die Tochter des Schwedenkönigs Gustav II. Adolf tat, was ihr gefiel. Dann entledigte sie sich in einem atemberaubenden Schritt der Zwänge ihrer Zeit.

Hakan Baykal ist Wissenschaftsjournalist in Alfeld (Leine).
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Ich war ein Sonntagskind, hatte eine raue Stimme, und der ganze Körper war behaart. Auf all das hin glaubten meine Hebammen, ich sei ein Knabe. Sie füllten das Schloss mit ihren falschen Freudenrufen, die eine Zeit lang sogar den König betrogen«, berichtete Christina in ihren Memoiren über den Tag ihrer Geburt, den 17. Dezember 1626. Die anfängliche Verwirrung rund um das Geschlecht des Kindes war freilich rasch behoben, und Gustav II. Adolf (1594–1632) nahm die Tatsache, dass ihm kein Kronprinz geboren worden war, offenbar gelassen hin. »Lasst uns Gott danken«, soll er zu seiner Schwester gesagt haben, als sie ihm den Säugling präsentierte. »Ich hoffe, dieses Mädchen wird mir ebenso taugen wie ein Junge.«

Kurioserweise sollte das Geschlecht Christinas ihr Leben lang ein Thema bleiben, zumindest unterschwellig. Immer wieder wurde nicht nur in Schmähschriften suggeriert, sie sei in Wahrheit ein Mann oder gar ein Hermaphrodit. Genährt wurden die Gerüchte auch durch das eigenwillige Auftreten der Königin selbst, die oft und gerne Männerkleidung trug, sich häufig einer derben Sprache bediente, vulgäre Witze schätzte und gewöhnlich eher als männlich angesehenen Zerstreuungen wie der Bärenjagd nachging. Ein Jesuit in spanischen Diensten, der sie viele Jahre später heimlich in den Grundlagen des katholischen Glaubens unterrichtete, notierte verdutzt: »Von Weiblichem hat sie nichts als das Geschlecht an sich. Ihre Stimme, ihre Art zu sprechen, Gang und Betragen verraten nichts als Männliches.«

Christina waren die Zweifel an ihrem Geschlecht durchaus bewusst. Als sie eines Tages bei einem Unfall in hohem Bogen aus ihrer Kutsche geschleudert wurde und mit hochgerutschtem Rock landete, war sie froh darüber, »dass man mich gesehen, wie mich die Natur geschaffen hat, denn so wissen die Leute, dass ich weder eine Mannsperson noch ein Zwitter bin«.

Solche Überlegungen lagen dem neugeborenen Kind naturgemäß noch fern. Sollte Gustav Adolf davon enttäuscht gewesen sein, dass seine Gattin keinen Sohn zur Welt gebracht hatte, kam er schnell darüber hinweg. Nach allem,waswir heute wissen, war der König aus dem Hause Wasa seiner Tochter in zärtlicher Liebe zugetan. Sie sollte das einzige überlebende Kind sein, das seiner Ehe mit Maria Eleonora von Brandenburg (1599–1655) entstammte. Der Monarch fand freilich kaum die Gelegenheit, seiner väterlichen Zuneigung auch gebührend Ausdruck zu verleihen, war er doch vorwiegend mit Kriegszügen um die Vorherrschaft im Ostseeraum beschäftigt – gegen Russland ebenso w

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