KLEINE GESCHICHTE VON  DEN »MATCHGIRLS« UND IHREM TEUFLISCHEN PHOSPHOR

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HEMMER UND MESSNER ERZÄHLEN

Im Juli 1888 trug sich ein legendärer Arbeitskampf zu: Denn gegen den Streichholz-Goliat Bryant & May hatten die streikenden Arbeiterinnen eigentlich keine Chance.

Richard Hemmer ist Historiker und Podcaster. Er lebt in Wien. Daniel Meßner ist Historiker und Podcaster in Regensburg.
MARY EVANS PICTURE LIBRARY / PICTURE ALLIANCE

Was letztendlich das Fass zum Überlaufen brachte, wissen wir nicht. Vielleicht war es die Entlassung einer Kollegin, die sich angeblich den Anweisungen eines Vorarbeiters widersetzt hatte. Vielleicht gab es einen Auslöser, von dem Außenstehende nichts mitbekamen. Sicher ist nur, dass in jenem JulidesJahres1888derUnmutder»matchgirls« explodierte. Die Angestellten der Zündholzfabrik Bryant & May legten die Arbeit nieder –wieder einmal, wieder ungeplant und ohne die eigentlich nötige Vorbereitung. Doch diesmal nimmt der Arbeitskampf eine unerwartete Wendung. Bereits nach kurzer Zeit haben sich 1400 Arbeiterinnen dem Protest angeschlossen. Gemeinsam stellen sie Forderungen an eine Firma, deren Arbeitsbedingungen erst wenige Wochen zuvor öffentlich als Sklaverei gebrandmarkt worden waren.

In der Tat waren die Mädchen und Frauen, die bei Bryant & May im Londoner East End die Hölzchen herstellten, ihrem Arbeitgeber weitgehend ausgeliefert. Den meisten fehlte eine Berufsausbildung, stattdessen saßen sie nun in den Fabrikhallen und schufteten im Akkord, bezahlt nicht nach Stunde, sondern nach getaner Arbeit. Brannten ihnen Streichhölzer ab, wurde ihnen das vom Lohn abgezogen. Ein langer Bußgeldkatalog schmälerte ihr ohnehin schon geringes Gehalt weiter. Abzüge gab es, wenn der Arbeitsplatz nicht sauber genug aufgeräumt war, wenn während der Arbeit geredet wurde oder manchmal einfach nur, weil die Vorarbeiter die Frauen schikanieren wollten.

Streichhölzer mit Reibungszündung, wie wir sie heute kennen, wurden 1826 vom englischen Apotheker John Walker erfunden. Als »Lichtbringer« und passend zum strengen Schwefelgeruch, den sie ausströmten, nannte man sie damals in England »Lucifers«. Das eigentliche Teufelszeug in ihnen kam jedoch erst später hinzu: Weil sie nicht sonderlich zuverlässig zündeten, begannen die Hersteller damit, hochentzündlichen weißen Phosphor beizumengen. Es dauerte nicht lange, bis Phosphorstreichhölzer den Markt dominierten. Sie waren günstig in der Herstellung und brannten zuverlässig. In den Zündholzfabriken allerdings mussten die Beschäftigten fortan mit einem Material hantieren, das sich nicht nur von selbst entzünden konnte, wenn es mit Luft in Kontakt kam, sondern auch noch hochgiftig war. Bereits 50 Milligramm davon können einen Menschen töten. So bezahlten die »matchgirls« für ihren kargen Lohn noch mit der eigenen Gesundheit: Das leichtflüchtige Element füllte

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