IST ALLES IM UNIVERSUM VORHERBESTIMMT – WEGEN DER QUANTENMECHANIK?

9 min lesen

DETERMINISMUS

Wegen der quantenphysikalischen Unsicherheiten ist letztlich alles dem Zufall unterworfen, so lautet zumindest die weit verbreitete Vorstellung. Doch in Wahrheit könnte genau das Gegenteil der Fall sein.

SELIM DÖNMEZ / GETTY IMAGES / ISTOCK

Hätte sich das Universum überhaupt auf andere Weise entwickeln können? Solche Gedanken dürften Albert Einstein umgetrieben haben, als er dem Mathematiker Ernst Strauss gegenüber äußerte: »Was mich eigentlich interessiert, ist, ob Gott die Welt hätte anders machen können; das heißt, ob die Forderung der logischen Einfachheit überhaupt eine Freiheit lässt.«

Eddy Keming Chen ist Wissenschaftsphilosoph an der University of California in San Diego.

Zur anhaltenden Debatte um solche Fragen hat der US-Physiker James Hartle, der im Mai 2023 im Alter von 83 Jahren verstorben ist, entscheidende Beiträge geleistet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schien die aufkommende Quantentheorie die klassische Vorstellung über den Haufen zu werfen, die Entwicklung des Universums sei streng deterministisch. Hartle trug hingegen zu einer alternativen Sichtweise bei, die mit dieser üblicherweise erzählten Geschichte bricht, der Determinismus sei mit der klassischen Physik und ihrer eindeutigen Berechenbarkeit der Zukunft erstarkt und anschließend durch die Quantenphysik zu Fall gebracht worden. Hartles Bild kehrt diese Vorstellung völlig um: Ein Quantenuniversum wäre womöglich deterministischer als ein klassisches – und trotz aller offenkundigen Ungewissheiten könnte die Quantenmechanik besser erklären, warum das Weltall so ist, wie es ist.

In der Physik bedeutet Determinismus, dass sich aus dem Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt zusammen mit den grundlegenden physikalischen Gesetzen einerseits die gesamte Geschichte rekonstruieren lässt und andererseits vollständig bestimmbar ist, wie sich alles weiterentwickelt. Diese Sichtweise erreichte ihren Zenit mit der Einführung der strengen und präzisen Gleichungen der klassischen Physik. Dazu gehören die von Isaac Newton aufgestellten Bewegungsgesetze. Ihnen zufolge könnte jemand, der die gegenwärtigen Orte und Impulse sämtlicher Teilchen kennt, zumindest prinzipiell alle Informationen über das Universum sowie seine Vergangenheit und Zukunft ermitteln. Lediglich ein Mangel an Wissen (oder Rechenleistung) hindert ihn daran. Zudem entspricht dem Determinismus ein wissenschaftliches Grundprinzip, das auf ähnliche Weise schon der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz in seinem »Satz vom zureichenden Grund« formuliert hat: Es muss für alles eine Ursache geben. Jeder Zustand des Universums (mit einer Ausnahme, auf die ich noch zu sprechen komme) kann vollständig durch einen früheren Zustand erklärt werden. Stellt man sich den Kosmos als einen Zug vor, legt ihn der Determinismu

Dieser Artikel ist erschienen in...

Ähnliche Artikel

Ähnliche Artikel