Riechverlust als Warnsignal

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Alzheimer, Parkinson, Depressionen: Bei vielen neurologischen und psychischen Erkrankungen leidet der Geruchssinn. Warum ist das so, und lässt sich das Phänomen diagnostisch nutzen?

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Frank Luerweg arbeitet als Wissenschaftsjournalist in Lüneburg.

Die Seniorinnen und Senioren waren im Schnitt weit über 70, geistig aber noch voll auf der Höhe. In unterschiedlichen Tests hatten sie die Leistungsfähigkeit ihrer grauen Zellen bewiesen, sich Listen von Wörtern gemerkt, Muster im Kopf gedreht, Rechenaufgaben gelöst und Geschichten nacherzählt. Das alles im Rahmen des Projekts »Rush Memory and Aging«. Ziel der epidemiologischen US-Studie ist es, Risikofaktoren für Demenz zu identifizieren. Die Teilnehmer stammen aus Seniorenheimen in der Region Chicago, Illinois, und durchlaufen jedes Jahr dieselben 21 Kognitionstests, begleitet von einer eindrucksvollen Batterie weiterer Untersuchungen. Darunter auch eine zu ihrem Riechsinn: Sie müssen in einem Heft Felder frei kratzen, die daraufhin unterschiedliche Gerüche absondern. In einer Liste kreuzen sie dann an, welcher Duft ihnen gerade um die Nase weht.

Seit seinem Start im Jahr 1997 wurden mehrere tausend Frauen und Männer in das Projekt aufgenommen. Rachel Pacyna, damals an der University of Chicago, hat 2022 einen Teil der gesammelten Daten ausgewertet und zusammen mit Kollegen und Kolleginnen die Ergebnisse von mehr als 500 Versuchspersonen analysiert. Diese waren alle in den ersten Jahren der Studie kognitiv unauffällig gewesen, hatten also keine Einbußen ihres Denkvermögens. Es zeigte sich ein interessanter Zusammenhang: Bei manchen von ihnen war der Geruchssinn innerhalb kurzer Zeit deutlich schlechter geworden. Solche Menschen trugen ein fast doppelt so hohes Risiko, in den Jahren danach geistig abzubauen oder gar dement zu werden.

Das Ergebnis steht nicht allein. Eine ganze Reihe von Studien zeigt inzwischen, dass sich ein nahender kognitiver Abbau häufig an der Nase ablesen lässt. Nicht nur das – auch andere neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson oder Chorea Huntington kündigen sich mit einem veränderten Riechvermögen an. Das beginnt oft lange vor den eigentlichen Symptomen. Parkinson etwa geht mit charakteristischen Bewegungsproblemen wie steifen Muskeln und zitternden Händen einher. »Bei den Betroffenen zeigen sich aber häufig schon 10 bis 20 Jahre vorher unerklärliche Einbußen der Geruchswahrnehmung«, erklärt der Dresdner Geruchsforscher Thomas Hummel.

Der Medizinprofessor leitet am Universitätsklinikum der sächsischen Landeshauptstadt das Interdisziplinäre Zentrum für Riechen und Schmecken. Die Eigenheiten der menschlichen Nase beschäftigen ihn bereits seit mehr als 30 Jahren; in Deutschland gilt er auf diesem Gebiet als einer der führenden Experten. Eine Frage kann aber auch er nicht beantworten: warum manche Erkrankun

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