Die magische Vier

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Im menschlichen Gehirn repräsentieren einzelne Neurone jeweils bestimmte Zahlen. Ein bislang unbekannter Mechanismus könnte dafür sorgen, dass dieser Zahlensinn bis zur Anzahl von vier kaum Fehler macht.

UNSERE AUTORIN Yasemin Saplakoglu schreibt für »Quanta« über Themen aus der Biologie.

Vor mehr als 150 Jahren stieß der Wirtschaftswissenschaftler und Philosoph William Stanley Jevons auf einen merkwürdigen Effekt. Während er darüber nachdachte, wie unser Verstand Mengen verarbeitet, warf er einige schwarze Bohnen in einen Karton. Nach einem flüchtigen Blick überschlug er, wie viele es waren, und ermittelte den tatsächlichen Wert durch Zählen. Mehr als 1000 Versuche später erkannte er ein klares Muster: Wenn sich vier oder weniger Bohnen in der Schachtel befanden, lag er immer richtig. Bei fünf oder mehr waren seine schnellen Schätzungen hingegen manchmal falsch.

Jevons’ Beschreibung seines Selbstversuchs, die 1871 im Fachmagazin »Nature« veröffentlicht wurde, legte den Grundstein dafür, wie wir über Zahlen denken, erläutert Steven Piantadosi, Professor für Psychologie und Neurowissenschaften an der University of California in Berkeley, USA. Die damalige Beobachtung löste eine lang anhaltende Debatte darüber aus, warum es offenbar eine Grenze für die Anzahl von Gegenständen gibt, die wir auf einen Blick erfassen können.

Im Oktober 2023 erschien eine Studie, die mit einer möglichen Antwort aufwartet. Das Forschungsteam um den Neurobiologen Andreas Nieder von der Universität Tübingen hatte untersucht, welche Nervenzellen feuern, wenn man Versuchspersonen unterschiedlich große Mengen präsentiert. Die Ergebnisse legen nahe, dass unser Gehirn eine Kombination aus zwei Mechanismen nutzt, um zu beurteilen, wie viele Objekte es wahrnimmt. Einer davon dient dazu, die Menge zu beziffern, der zweite schärft die Genauigkeit dieser Schätzung – allerdings nur für geringe Anzahlen.

Natürlich wird eine einzelne Veröffentlichung die Debatte nicht beenden. Gleichwohl könnten die Daten dazu beitragen, das neuronale Fundament der Mengenbeurteilung unseres Gehirns besser zu verstehen. Steven Piantadosi, der nicht an der Studie mitwirkte, findet es »sehr aufregend«, dass die neuen Ergebnisse lange diskutierte Vorstellungen mit Hirnmechanismen verbinden. »Es gibt nicht viele Dinge im Bereich der Kognitionsforschung, für die man eine plausible biologische Grundlage gefunden hat«, betont er.

Die Fähigkeit, die Anzahl von Gegenständen sofort zu erkennen, hat nichts mit Zählen zu tun. Säuglinge haben diesen Zahlensinn schon, bevor sie sprechen lernen. Er ist nicht einmal auf Menschen beschränkt: Affen, Bienen, Fischen, Krähen und andere Tiere sind ebenso dazu fähig.

ZAHLENBEGABT | Eine Aaskrähe kann die Anzahl der Punkte auf einem Computerbildschirm unterscheiden. In früheren Forschungen hat

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