Eine Krise kommt selten allein

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ARTENSTERBEN, ÖKOSYSTEME, KLIMA

Klima, Ökosysteme, Wasser: Zukünftige Krisen könnten sich gegenseitig verstärken. In einer solchen Polykrise wären die Veränderungen zu drastisch, als dass man sich noch anpassen könnte.

CARSTEN SCHERTZER / GE T T Y IMAGES / ISTOCK

Jedes Jahr wird es ein bisschen wärmer. Gletscher verlieren ein bisschen mehr Eis, Wälder trocknen ein bisschen mehr aus, der Meeresspiegel steigt weiter um ein paar Millimeter. So stellen sich viele Menschen den Klimawandel vor.

Auch in den gängigen wissenschaftlichen Prognosen für das Weltklima sind hauptsächlich Linien zu sehen, die ohne große Ausschläge konstant mit dem CO₂-Gehalt in der Atmosphäre ansteigen. Manche Politiker und Wirtschaftslenker verleitet das zu der Annahme, dass es die menschliche Zivilisation doch schaffen müsste, sich an eine solche schrittweise Veränderung ebenso schrittweise anzupassen.

Christian Schwägerl ist Journalist, Buchautor und Mitgründer von »RiffReporter«. Von ihm stammen die Bücher »Menschenzeit« über das Anthropozän, »11 drohende Kriege« über globale Konfliktrisiken und »Analoge Revolution« über die Zukunft digitaler Technologien.

Das ist doppelt falsch: Einerseits wird nach derzeitigem Stand die globale Durchschnittstemperatur bis 2100 um drei Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit steigen. Das ist weit außerhalb der gewohnten Lebensbedingungen und würde die Wasser- und Nahrungsversorgung von Milliarden Menschen ernsthaft gefährden.

Andererseits warnt eine wachsende Zahl von Wissenschaftlern davor, dass es nicht bei solchen graduellen Veränderungen bleiben wird. Eine »Polykrise« droht, bei der mehrere lebenswichtige Funktionen des Erdsystems gleichzeitig versagen. Zum Beispiel, wenn die Temperatur abrupt nach oben schießt oder wenn Ökosysteme, die für globale Ernten wichtig sind, in kurzer Zeit und dann dauerhaft ihren Dienst versagen. In einer solchen Polykrise wirken mehrere menschengemachte Umweltveränderungen fatal zusammen, also neben dem Klima etwa die massive Überdüngung, die zu Todeszonen im Meer führt, und der dramatische Verlust der Artenvielfalt. Die einzelnen Probleme addieren sich nicht nur, sondern verstärken sich gegenseitig.

Ein ganz anderer Planet

Eine solche klimatisch-ökologische Eskalation könnte menschliche Gesellschaften ins Chaos stürzen, etwa wenn in Asien im Sommer mangels Gletscherwasser hunderte Millionen Menschen Durst leiden und Hitzewellen Städte nahezu unbewohnbar machen. Sie könnte auch neue Konflikte heraufbeschwören, wenn wichtige Grundnahrungsmittel knapp werden oder wenn Küstenbewohner ins Binnenland und in andere Weltregionen fliehen müssen.

Der Klimaforscher Nico Wunderling vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung warnt vor einer drohenden »Kaskade von Kipppunkten«. An deren Ende

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