Die letzten Rätsel der Mandelbrot-Menge

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FRAKTALE

Seit Jahrzehnten arbeitet eine kleine Gruppe von Mathematikern an den letzten Geheimnissen des wohl bekanntesten Fraktals. Ihre Geschichte zeigt, wie technische Fortschritte selbst die abstraktesten mathematischen Gebiete voranbringen.

SELBSTÄHNLICH Je weiter man in die Mandelbrot-Menge hineinzoomt, desto mehr Details offenbaren sich. Und man stößt auch immer wieder auf Kopien der Menge selbst.
Jordana Cepelewicz schreibt für das »Quanta Magazine«.
TIM BIRD / STOCK.ADOBE.COM

AUF EINEN BLICK: Zwischen Kunst und Wissenschaft

1 Durch Einzug von Computern wurde die Mandelbrot-Menge in den 1980er Jahren populär: Software zu ihrer grafischen Darstellung nutzten Wissenschaftler ebenso wie Künstler.

2 Das Fraktal fällt in das mathematische Gebiet der komplexen dynamischen Systeme, das sich unter anderem mit der Berechnung von Planetenbahnen beschäftigt.

3 Auch den nach 40 Jahren birgt die Mandelbrot-Menge noch Rätsel. Mehrere Mathematiker stehen nun offenbar kurz davor, sie vollständig zu entschlüsseln.

Mitte der 1980er Jahre war die käferartige Silhouette der Mandelbrot-Menge so allgegenwärtig wie Walkmen, Dauerwellen und Batikfarben. Das Fraktal zierte die Wände von Studentenwohnheimen aller Welt. Mathematikerinnen und Mathematiker erhielten Hunderte von Briefen, in denen sie um Bilder der Menge gebeten wurden. Technisch versiertere Fans konnten auf die Oktoberausgabe des Jahres 1985 von »Spektrum« zurückgreifen: Auf der Titelseite prangte die Mandelbrot-Menge in feurigen Farben; im Innenteil der Zeitschrift fanden sich detaillierte Programmieranweisungen, um das ikonische Bild am Computer zu erzeugen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Fraktal bereits weit über die Mathematik hinaus bis in Bereiche des täglichen Lebens ausgebreitet. Die Mandelbrot-Menge inspirierte David Hockney zu Gemälden und mehrere Musiker zu Kompositionen. Sie taucht in John Updikes Romanen auf, wurde zum Thema psychedelischer Halluzinationen und eines Dokumentarfilms von Sciencefiction-Autor Arthur C. Clarke.

Die Mandelbrot-Menge ist eine beeindruckende Figur mit einem fraktalen Umriss. Wenn man an ihren Rand heranzoomt, eröffnen sich Täler, die von Seepferdchen und Elefanten bevölkert sind; man entdeckt Spiralgalaxien und synapsenartige Fäden. Egal, wie tief man in die Struktur eindringt, es entfalten sich immer wieder Kopien der ursprünglichen Menge – eine unendliche Kaskade der Selbstähnlichkeit.

Die Mandelbrot-Menge verkörperte das Bedürfnis nach einer neuen mathematischen Sprache. Sie veranschaulicht, wie aus den einfachsten Regeln eine erstaunliche Komplexität entstehen kann. In ihr leben Ordnung und Chaos Seite an Seite. Die Mandelbrot-Menge wurde ikonisch und war überall – bis sie plötzlich verschwand. Nach einem Jahrzehnt traf man sie kaum noch an. Die Fachwelt wandte sich anderen Themen

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