Wirbel um Vitamin D

17 min lesen

Viele Menschen konsumieren Vitamin-D-Ergänzungsmittel, weil sie vermeintlich zu niedrige Blutserumwerte dieser Substanz haben. Ein genauerer Blick auf gängige Grenzwerte zeigt allerdings: Gesunde Personen mit halbwegs normalem Lebensstil brauchen solche Präparate wohl nicht.

Christie Aschwanden ist Wissenschaftsautorin in den USA.
TONY CHOW
DIE TÄGLICHE VITAMIN-D-ZUFUHR zu erhöhen, beispielsweise über solche Kapseln, wird vielfach als gesundheitsfördernd angepriesen. Große randomisierte Studien haben das jedoch nicht bestätigt.

Vitamin D gilt vielen als Gesundheitselixier. Vor mehr als 100 Jahren wurde es als Heilmittel gegen Rachitis genutzt: eine Kinderkrankheit, die zu deformierten Knochen führt. Anfang der 2000er Jahre erschienen dann gehäuft Studien, laut denen ein Zusammenhang besteht zwischen niedrigen Vitamin-D-Spiegeln und Krebserkrankungen, Herz-Kreislauf-Komplikationen, Demenz, Depressionen, Diabetes, Autoimmunleiden, Knochenbrüchen, Atemwegsinfektionen und der Parkinsonkrankheit. Der Gedanke lag nahe, eine künstliche Zufuhr dieses Vitamins – das unser Körper bei Sonneneinstrahlung selbstständig bildet, das wir aber auch über Nahrungsergänzungsmittel aufnehmen können – würde zahlreichen Krankheiten entgegenwirken.

Mindestens zwei Bücher mit dem Titel »The Vitamin D Cure« sind erschienen, zusammen mit weiteren Werken und Pressebeiträgen, die mit Begriffen wie »Revolution« oder »Wunder« titelten. Bei zahlreichen Menschen wuchs die Besorgnis, sie würden nicht genug von dem Stoff zu sich nehmen. Im US-Fernsehen erklärten Reporter vor laufender Kamera, 100 Millionen Amerikaner hätten einen Vitamin-D-Mangel. Bluttests kamen in Umlauf, mit denen sich der Serumwert angeblich einfach bestimmen lässt. Fernsehmoderatoren empfahlen unter anderem Lebertran und Nahrungsergänzungsmittel, um eine tatsächlich oder vermeintlich unzureichende Versorgung zu kompensieren.

Hersteller von Vitaminpräparaten schürten den Eindruck, Vitamin D sei eine Art Allheilmittel – unterstützt von diversen Prominenten. Der Verkauf entsprechender Nahrungsergänzungsmittel stieg daraufhin sprunghaft an, ebenso wie die Zahl durchgeführter Bluttests. Fachleute wie JoAnn Manson kritisieren das heute. Die Endokrinologin und Epidemiologin an der Harvard Medical School hat einige der bisher größten Vitamin-D-Studien wissenschaftlich koordiniert.

Der holprige Weg zur Erkenntnis

Obwohl hunderte Untersuchungen auf einen Zusammenhang zwischen niedrigen Vitamin-D-Blutserumwerten und verschiedenen Krankheiten hindeuten, lassen sich diese Erkrankungen in aller Regel nicht durch simple Zufuhr des Stoffs verhindern oder heilen. Auch die Annahme, in großen Teilen der Bevölkerung bestehe ein Vitamin-D-Mangel, gerät ins Wanken. Sie beruht auf zweifelhaften Grenzwerten, wie sich immer deutlicher abzeichnet. Stichproben haben ergeben, dass die meisten Mensch

Dieser Artikel ist erschienen in...

Ähnliche Artikel

Ähnliche Artikel