Tumult in der Milchstraße

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Hochpräzise Daten zur Bewegung vieler Millionen Sterne ermöglichen es, die ereignisreiche Geschichte unserer Galaxis zu rekonstruieren. Sie ist viel turbulenter, als lange Zeit vermutet wurde.

Ann Finkbeiner ist Wissenschaftsjournalistin in Baltimore.

ASTRONOMIE

RÄTSELHAFTE HEIMATGALAXIE Die Illustration stellt dar, wie unsere Milchstraße von außen aussehen könnte. Da wir uns inmitten der Struktur befinden, ist ihre tatsächliche Form nur schwer in Erfahrung zu bringen.
TRYFONOV / STOCK.ADOBE.COM

Der Astronom Bob Benjamin von der University of Wisconsin-Whitewater hat die letzten beiden Jahrzehnte damit verbracht herauszufinden, wie die Milchstraße aussieht. Das ist keine einfache Aufgabe, weil wir uns im Inneren dieser Galaxie befinden und sie deswegen nicht von außen betrachten können. Aber mit einigen gewieften Lösungen, hofft Benjamin, »lässt es sich in Erfahrung bringen«. Dabei geht er von dem groben Gesamtbild aus, das sich aus verschiedenen astronomischen Erkenntnissen zusammenfügen lässt: Im Zentralbereich befindet sich ein vergleichsweise dichtes, balkenförmiges Band von Sternen, das in eine Scheibe aus Gas und Sternen eingebettet ist. Diese Materie erstreckt sich in so genannten Armen teils spiralförmig nach außen. Alles wird umhüllt von einem dünnen, kugelförmigen Halo aus locker verstreuten Sternen.

Bereits der Weg hin zu einem solchen groben Überblick über die Milchstraße war so mühevoll, dass Forscher wie Benjamin in Interviews immer wieder die Parabel von den Blinden und dem Elefanten zitiert haben: Männer, die nichts sehen können, berühren jeweils bloß den Rüssel, das Ohr oder das Bein des Tieres. Sie beschreiben eine Schlange, einen Fächer oder einen Baumstamm; ein Eindruck der gesamten Gestalt bleibt ihnen versagt. Im Gegensatz dazu war den Astronomen immerhin das Ausmaß ihres Unwissens klar. Ihnen war bekannt, dass die Sterne in verschiedenen Teilen der Galaxie unterschiedlich alt waren, aber sie konnten nicht erklären, warum. Sie wussten, dass sich Sterne in gigantischen Gaswolken bilden, aber deren Vermessung erschien so gut wie unmöglich. Bei anderen Galaxien stellten sie fest, wie Verschmelzungen die Bestandteile durcheinanderwirbeln, aber ob Ähnliches jemals früher in der Milchstraße passiert ist, war offen. Zu Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn ging Benjamin davon aus, die Galaxis befände sich in einem Gleichgewichtszustand und sei seit ihrer Entstehung stabil und geordnet.

Dieses Bild hat sich in den letzten Jahren

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