Ein rätselhaftes Dunkelwesen

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Der Europäische Aal zählt zu den erstaunlichsten Spezies. Früher allgegenwärtig, muss er heute streng geschützt werden. Die Wissenschaft erforscht noch immer seine ungewöhnliche Fortpflanzung.

Foto: AdobeSto, A_Bruno

Sigmund Freud ist gerade 19 Jahre alt und interessiert sich als Student in Wien für die unterschiedlichsten Gebiete, als ihn sein Zoologie-Professor Carl Claus im März 1876 nach Triest schickt. Sein Auftrag: Freud soll die noch unentdeckten männlichen Geschlechtsorgane des Aals aufspüren. Doch die sexuelle Fahndung des späteren Begründers der Psychoanalyse bleibt erfolglos, obwohl Freud Hunderte Aale unters Mikroskop schiebt.

150 Jahre später ist die Wissenschaft dem Aal noch immer auf der Spur. Die Suche gilt nicht mehr den Geschlechtsorganen, sondern seiner Fortpflanzung in der Sargassosee, einem Meeresgebiet im Atlantik östlich von Florida, Tausende Kilometer entfernt von Europas Flüssen und Seen. Dort liegt seine Kinderstube, aber noch nie hat ein Mensch Aale beim Laichen beobachten können. In Gefangenschaft lassen sie sich ohnehin nicht vermehren.

Aale gehören zu den faszinierendsten Lebewesen. Doch spätestens seit der Verfilmung der »Blechtrommel« mit der unvergesslichen Szene des abgetrennten Pferdekopfs, an dem sich ein ganzes Dutzend Aale festgebissen hat, sind sie mit einer guten Portion Ekel verknüpft. »Ein schleimiges, glitschiges, aasfressendes Dunkelwesen, das lustvoll aus Kadavern kriecht«, schreibt der schwedische Autor Patrick Svensson in seinem Buch »Evangelium der Aale«.

Aale gibt es seit mindestens 40 Millionen Jahren, manche Quellen sagen seit über 70 Millionen. Sie haben Dinosaurier und Eiszeiten überlebt, in Europa gehörten sie lange zu den häufigsten Fischen. Sie konnten in allen Flüssen, Seen, Kanälen gefangen werden und waren so eine energiereiche und preiswerte Mahlzeit. Die Kanäle der Marschlandschaft Norddeutschlands sollen einst so voller Aale gewesen sein, dass die Fische als Dünger auf den Feldern landeten. Mit dem Siegeszug der Räuchereien erlebte das Arme-Leute-Essen einen durchschlagenden Imagewandel, Räucheraal wurde zur Delikatesse. In der Gastronomie werden aktuell fast nur noch geräucherte Aale angeboten.

Fantastischer Geruchssinn

Aale gehören zu den Knochenfischen, 20 Arten sind bekannt. Der Europäische Aal (Anguilla anguilla) wird bis zu 1,50 Meter lang und sechs Kilo schwer bei einem maximalen Alter von mehr als 20 Jahren. Er ist ein nachtaktiver Einzelgänger, der Insektenlarven, Würmer, Krebse, kleine Fische und Aas frisst. Aale sind muskulös und extrem kräftig. Sie können auch außerhalb des Wassers bei genügend Feuchtigkeit einige Tage überleben, weil sie über die aalglatte Haut Sauerstoff tanken. Legendär ist der von vier Nasenöffnungen gespeiste Geruchssinn, 200-mal empfindlicher als der des Hundes.

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