Die Verwandlungskünstlerin

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DAS FISCHPORTRÄT

diesmal die Scholle

Stellen Sie sich vor, es gibt einen delikaten Fisch in großen Mengen und die Kundschaft zögert. Bei der Scholle ist genau das der Fall. Nur die berühmte Maischolle ist mehr ein Marketing-Gag als etwas Besonderes.

Foto: AdobeStock_Andy Lidstone

Sebastian Baier ist ein Vorzeige-Fischhändler. Zwei Meter groß, jung, roter Wikingerbart, der freundliche Blick eines umtriebigen Seebären. In seinem Netz zappeln Vernunft, Nachhaltigkeit und Empathie für die Wildtiere im Meer. Baier ist zurecht ein Liebling der Medien, die den etwas anderen Fischverkäufer gerne besuchen. In seinem Feinkostladen in Börnsen bei Hamburg hat er nur wenige Fischsorten in der Ladentheke. Er verzichtet konsequent auf alle Problemfische von A wie Aal bis Z wie Zuchtlachs. Einen Fisch aber hat er fast immer im Angebot – Scholle aus der Nordsee, Pleuronectes platessa. Traurig, aber wahr: Baier hat große Mühe, seine Schollen zu verkaufen. Er muss sie schon zerlegen, grill- und pfannenfertig präparieren, um die auf dickfleischige Filets programmierte Kundschaft zu ködern. Die Käufer*innen suchen Rotbarsch-, Kabeljau- und Lachsfilet und tun sich schwer mit dem heimischen Plattfisch. Dabei kostet die ganze, fast pfundschwere Scholle knapp fünf Euro, eigentlich ein Spottpreis.

Und das vielleicht wichtigste Verkaufsargument: Der Scholle geht es richtig gut, Meeresbiologen melden eine enorme Zunahme des Schollenbestandes in der Nordsee. Also endlich ein Fisch, der kein Gewissensbissen ist und dazu auch noch ein richtig delikater Happen.

Ihr zweiter Name ist Goldbutt

Schauen wir uns den Fisch genauer an. Schollen sind Verwandlungskünstler. Wenn sie aus den Eiern schlüpfen, sehen sie – nur millimetergroß – noch wie „richtige“ Fische aus. Kein bisschen platt. Erst wenn sie etwa die Größe von einem Zentimeter erreichen, beginnt die faszinierende Metamorphose. Das linke Auge wandert auf die rechte Kopfseite. Die gesamte linke Körperhälfte „verblindet“, sie wird farblos, während sich der Fisch langsam auf die Seite legt. Jetzt schwimmen die jungen Schollen häufiger am Boden, ihre linke Körperseite hat sich in die helle Unterseite verwandelt. Die obere Seite trägt ein bräunliches Kleid mit orangefarbenen Tupfern, als hätte der Fisch die Masern. Das hat der bekanntesten, beliebtesten und für die Nordsee-Fischerei wichtigsten Art unter den Plattfischen den Zweitnamen „Goldbutt“ eingebracht. Schollen haben einen sogenannten Flossensaum, der sich rings um ihren Körper zieht und mit dessen Bewegungen sie sich als Meister der Tarnung im Meeresboden eingraben. Oben schauen dann nur noch die Augen aus dem Sand heraus, um Feinde oder Beute zu entdecken.

Ende des Winters, wenn die Wassertemperatur etwa sechs Grad erreicht hat, beginnt die Laichzeit, die bis April andauern kann. Die Männchen