96 stunden

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AUF SCHOTTERWEGEN UND PFADEN DURCH SÜDSCHWEDEN – VON GÖTEBORG NACH MALMÖ. 625 KILOMETER, 6000 HÖHENMETER UND NUR 96 STUNDEN ZEIT. DAS RAD RACE 96 HOURS IM SELBSTVERSUCH.

Fotos: Rad Race, Philip Siebert

Meine Akku-Lampe erhellt nur noch einen schmalen Ausschnitt des Schotterweges vor mir. Links und rechts des Lichtkegels ist nichts als Dunkelheit. Es ist Midsommar, die kürzeste Nacht des Jahres. Davon spüre ich gerade aber nicht viel. Diese Nacht kommt mir unendlich lang vor. Es ist mehr als 18 Stunden her, seit ich mit mehr als 150 anderen Fahrern im schwedischen Göteborg gestartet bin. Jetzt, nach mehr als 350 Kilometern, bin ich vollkommen auf mich alleine gestellt – hier im Nirgendwo. Ich fahre durch das bergige Hinterland von Halmstad – auf halbem Wege zwischen Göteborg und Malmö. Immer wieder springen oder rutschen meine Stollen-Reifen über Steine und lockeres Geröll, so dass es das ganze Rad zur Seite versetzt. Ich weiß nicht mehr, wie ich den Lenker greifen soll. Es setzt Schläge, in meine Hände, meine Arme, meinen Rücken, meinen Nacken. Wann der nächste Ort, das nächste Haus, das nächste Zeichen von Zivilisation in der Dunkelheit auftaucht, ist ungewiss. Hier gibt es nichts, außer Schotterwege und Wald, viel Wald. Ich spüre, wie ich müder und müder werde und mir immer wieder die Augen zufallen. „Jetzt bloß nicht anhalten“ – ich spreche zu mir selbst. Sonst ist ja auch niemand hier. Es ist halb eins, mitten in der Nacht und stockfinster. Mein GPS-Computer zeigt in zehn Kilometer Entfernung eine Weggabelung an. Eine Ortschaft? Menschen? Erst einmal muss ich bis dorthin kommen. Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit: Lichter. Erst eins, dann zwei, dann viele. Ein Dorf, im Tiefschlaf, mit einem beleuchteten Kirchplatz, und mit einer Bank. Meiner Bank. Nichts geht mehr. Ich brauche dringend eine Pause. Jetzt, sofort.

Natur & Abenteuer

Es gibt Chancen im Leben, die man sich nicht entgehen lassen darf. Zumindest glaubt man das. Zwei Wochen vor dem Start bot mir mein Mitbewohner kurzfristig seinen Startplatz für ein Gravel-Event an: das Rad Race 96 hours. 625 Kilometer und 6000 Höhenmeter durch Schweden, von Göteborg nach Malmö. „Unsupported“, auf sich allein gestellt. Ich bin zuvor noch nie weiter als 250 Kilometer am Stück gefahren – und schon gar nicht auf Gravel-Wegen. Zum Glück saß ich in dieser Saison aber schon regelmäßig auf dem Rad, drei bis viermal pro Woche. Ich sage: Das muss ich versuchen. Dann buche ich eine Busfahrt nach München und von dort aus einen Flug nach Göteborg. Eine Woche vor dem Start habe ich noch Zeit für eine Trainingsfahrt über 200 Kilometer, um mein finales Bike-Set-Up zu testen. Am Morgen des 20. Juni 2023 stehe ich im Zentrum von Göteborg –zusammen mit mehr als 150 anderen Menschen in Radklamotten. Dies ist der Start des Rad Race 96 hours. Seit fünf Uhr morgens bin i

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