„Der Blick auf mein früheres Selbst öffnet Türen“

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Wer sein bisheriges Leben anschaut und Worte dafür findet, erweitert die Perspektive auf sich selbst. Die Psychologin Barbara Rabaioli-Fischer verrät, wie dieses Wunder gelingt

Frau Rabaioli-Fischer, stimmt es, dass mir ein Blick in ein altes Fotoalbum helfen kann, heute ein besseres und erfülltes Leben zu führen?

Ja, das kann tatsächlich funktionieren, und zwar in mehreren Schritten. Zunächst werden beim Betrachten der Bilder Erinnerungen in Ihnen aufsteigen, begleitet von Gefühlen, manche davon vielleicht schmerzhaft, andere eher erfreulich. Ihnen werden GedankendurchdenKopfgehen. Daspassiert ganz automatisch. Dann ist es wichtig, sich bestimmte Fragen zu stellen – und etwas zum Schreiben neben sich liegen zu haben.

Welche Fragen sollte ich mir denn stellen?

Zum Beispiel: Was will ich auf diesen Bildern entdecken? Welche Bezugspersonen finde ich darauf? Was haben sie mir mitgegeben für mein heutiges Leben? Was davon möchte ich übernehmen – und was nicht? Manchmal bin nur ich auf den Bildern. Was fühle ich, wenn ich mich so sehe? Wie empfinde ich diese Person?

Und zu all dem soll ich mir Notizen machen?

Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Halten Sie fest, was Sie in diesen Momenten denken und fühlen. Das sind wertvolle Informationen – die ansonsten leicht verlorengehen. Mit der Zeit können Sie aus diesen Notizen und Beobachtungen so etwas wie Ihr eigenes Lebensbuch schreiben.

Ich habe kürzlich ein Foto gesehen, auf dem ich zehn oder elf war. In meiner Erinnerung hatte ich eine glückliche Kindheit. Aber der Junge auf dem Bild stand abseits und sah nachdenklich aus, vielleicht sogar traurig. Ich habe mich darüber erschrocken.

Was Sie da beschreiben, passiert ganz häufig. Man entdeckt Dinge, die einem gar nicht mehr präsent waren. An dieser Stelle können Sie überlegen: Wo war ich da eigentlich? Was hat mich bewegt? Welche Vorstellungen hatten meine Eltern von mir? Und dann würde ich auch immer den Blick auf die Ressourcen richten: Was konnte dieser kleine Junge denn schon alles? Und dann – das ist ganz wichtig – kommt der Sprung zum heutigen Leben: Damals hat sich der kleine Jochen vielleicht einsam gefühlt. Welche Situationen gibt es denn heute, wo Sie sich allein und traurig fühlen?

Sie meinen: Es gibt einen Grund, warum dieses Bild mich so angesprochen hat?

Vermutlich. Und vielleicht kommen Ihnen noch weitere Erinnerungen, die auchetwasmitdemThemaEinsamkeit zu tun haben. Und dann vielleicht die Erkenntnis: Einsamkeit war für mich als Kind bedrohlich, deshalb habe ich in meinem Leben geschaut, viel mit anderen zusammen zu sein. Ich habe den Austausch mit anderen schätzen gelernt.

Das stimmt, ich bin als Erwachsener ein ziemlich geselliger Mensch. Interessant, so habe ich darüber nie nachgedacht. Das alte Bild vom e

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