Erzählkunst der Psychotherapie

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Wie therapeutisch ist Erzählen? Und wie literarisch darf Psychoanalyse sein? Ein Porträt Irvin D. Yaloms als Schriftsteller und eine Einführung in therapeutisches Erzählen

Nur wenige Therapeuten sind in den vergangenen fünfzig Jahren so bekannt geworden wie Irvin D. Yalom. Und zwar nicht als Analytiker, sondern als Erzähler und Bestsellerautor. Besonders im deutschsprachigen Raum dürfte kaum ein Psychotherapeut bei Laien bekannter sein als der 1931 geborene US-Amerikaner, der seit 65 Jahren in Kalifornien lebt, an der Stanford University lehrte und die Romane Und Nietzsche weinte, Die Schopenhauer-Kur und Das Spinoza-Problem schrieb.

Nun legt der Literaturprofessor Jeffrey Berman die erste Monografie über Yalom als Autor vor. Im Original heißt das Buch Writing the Talking Cure. Der Titel verweist auf die literarisch durchgeformte Fallgeschichte, die der Psychoanalyse von Freud von Anfang an buchstäblich eingeschrieben war.

Jeffrey Berman, Jahrgang 1945 und seit mehr als einem halben Jahrhundert Universitätsdozent, ist als Literaturwissenschaftler von merkwürdiger Naivität. In den 1970er Jahren kam an US-Hochschulen das close reading auf und in Mode, die penible Ausdeutung von Textpassagen. Dabei werden soziale, sozial-, kultur- und mentalitätshistorische Hintergründe bei der Interpretation eines Textes ausgeblendet. Ebendiese close reading-Methode praktiziert Berman. Auch hat er in den vergangenen Jahren immer weniger k lassisch Literaturwissenschaftliches publiziert, sondern persönliche Essays über Trauer, Verlust, Tod. So kommt er bei seiner freundschaftlichen Promenade durch das literarische Werk Yaloms ganz ohne literatur- oder psychoanaly tisches Besteck aus.

Berman beschreibt in dreizehn Kapiteln dreizehn Buchveröffentlichungen Yaloms, beginnend mit dem Fachbuch Theorie und Praxis der Gruppen- psychotherapie, endend mit Unzertrennlich, das Yalom mit seiner da schon todkranken Frau Marilyn geschrieben hatte. Es sind ausgreifende, detaillierte Inhaltsnacherzählungen, die als Einführung für jene Leserinnen und Leser hilfreich sind, die das eine oder andere Yalom-Buch nicht kennen. Was Berman scheut, sind Abstraktionen, sind bei den drei historischen Epen „alternative Historien“, sind Überlegungen zur postmodernen Literatur und besonders zum Genre des historischen Romans. Spät werden Namen wie Philip Roth und Saul Bellow erwähnt, viel später erst taucht Oliver Sacks auf, der britisch-amerikanische Autor von Fallgeschichten, der weltweit ähnlich populär wie Yalom ist.

Jeffrey Berman: Der Therapeut als Erzähler. Irvin D. Yalom und die Psychotherapie. Aus dem Amerikanischen von Liselotte Prugger. Btb 2024, 512 S., € 18,–

Abgesehen von Schnitzern, die die Übersetzerin und der Verlag zu verantworten haben, ist auch von einer populärwissenschaftlichen Darstellung wie der Bermans zu erwarten, dass sie –

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