Der Vorleser

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Christian Geistdörfer ist der Mann, auf den Deutschlands bester Autofahrer hört. Wer also wäre besser für eine Laudatio auf Walter Röhrl geeignet als sein Beifahrer. Eindrücke einer Fahrgemeinschaft über elf Jahre und aus nächster Nähe – am Ende wird Christian das für ihn größtmögliche Kompliment machen: »Walter ist mein Lebensmensch.«

AUTOR ELMAR BRÜMMER FOTOGRAFIE TOM ZIORA

Gerade saßen wir noch in den Sesseln einer Bibliothek in München, doch plötzlich f liegen Schneewände und Tannen vorbei, die Straße wird abschüssig, die Steinmauer einer kleinen Brücke rast auf uns zu, der Asphalt schimmert verdächtig. Tatsächlich: Glatteis! Im letzten Moment die Kurve gekriegt. Col de Turini, Krönungsetappe der Rallye Monte Carlo.

Als Interviewer sollte man tunlichst nicht die Augen schließen, schon gar nicht, wenn eine Legende des deutschen Sports vor einem sitzt. Aber für dieses eine Mal war es nötig. Christian Geistdörfer liest seinen Aufschrieb zum Col de Turini. Ein Hörereignis, bei dem sich aus wenigen gesprochenen Worten Bilder zu einem Film formen. Der Zuhörer kann plötzlich annähernd begreifen, wie die große Kunst der erfolgreichsten deutschen Fahrgemeinschaft im Rallyesport funktioniert hat. Natürlich hatte Walter Röhrl damals immer die Augen auf, wenn Geistdörfer ihm diktierte, was er jetzt noch einmal rezitiert: »50 trocken, fortwährend, mittellinks plus, 40 Ortsende Schild, mittelrechts plus, sofort links voll, 60, mittellinks plus von außen sofort, Achtung, mittellinks, Achtung, nass, wird glatt von außen nach innen, sofort mittelrechts nass, Wasser auf Brücke von außen, 70, trocken, links minus nass zu mittellinks plus nass, rechts minus, 100 trocken, rechts voll feucht.«

Christian Geistdörfer liest sein Gebetbuch zur Königsetappe. Das Tempo fast so wie damals, 1980, als Walter Röhrl und er zum ersten Mal die berühmteste aller Rallyes gewonnen haben − ein wunderbarer, absurder, außergewöhnlicher Moment hier in der Bibliothek.

Wir sind zurück im Münchener Drivers & Business Club, Christian Geistdörfer ist Ehrenmitglied. Hier in der bayerischen Hauptstadt hat er zum ersten Mal den Namen Röhrl gehört, 1972 bei der Olympia-Rallye. Damals waren ihm Skifahren, Fußball und die Banklaufbahn wichtiger. Bereits fünf Jahre später saß er neben dem Idol Walter Röhrl und beide fuhren gemeinsam in die Rallye-Geschichte. Heute, im Abstand von 50 Jahren, möchten wir aus erster Hand wissen, wie Walter Röhrl denn wirklich war und ist. Es gibt keinen besseren Laudator zum 75. Geburtstag als Christian Geistdörfer. Er lässt uns teilhaben