„Unsere Liebe hilft auch anderen“

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EDELTRUD HABIB

Mit Mitte 70 fand sie ihr neues Glück – und eine Lebensaufgabe

Besonders Mädchen erhalten dank dem Paar eine Chance
Fotos: Gunnar Geller (3), privat

Kanya anmol“, schallt es über unsere Köpfe. Voller Inbrunst schleudern die Schülerinnen und Schüler ihre Botschaft in den Saal. „Mädchen sind wertvoll!“, heißt das auf Deutsch. Worte, die so viel Sehnsucht in sich tragen, dass ich sie nie in meinem Leben vergessen werde …

Im kleinen Dorf Dhobghat im Osten Indiens entwickelten Schülerinnen und Schüler daraus ein Theaterstück. Mein Mann Shatrughna und ich sitzen im Publikum. Ergriffen. Gebannt. Der Traum der Kinder von einer besseren Welt für Frauen und Mädchen geht mir tief unter die Haut. Als einzige weiße Frau im Raum werde ich aufgefordert, auf die Bühne zu kommen und den Satz „Kanya anmol“ zu wiederholen. Ich blicke in die Gesichter, spreche die Worte und merke, dass sie etwas mit mir machen: Ja, es ist Zeit, Mädchen und Frauen mit Respekt und Würde zu behandeln. Überall auf der Welt! Und ich möchte mich dafür einsetzen!

Eine Witwe feiert Hochzeit? Ein Skandal

Es war mein zweiter Besuch im Geburtsort meines Mannes. Drei Jahre zuvor, ich war gerade 75 geworden, hatte ich Shatrughna in Hamburg kennengelernt. Seine Heimat fesselte mich von Anfang an. Einerseits erlebte ich eine unfassbare Schönheit der Natur, die Herzlichkeit der Menschen, andererseits fest verankerte alte Sitten. Ein Viertel der Bewohner von Dhobghat sind Scheduler (Unberührbare) und Dalits (Ureinwohner). Beide Gruppen gelten als unrein, verrichten nur niedrige Arbeiten.

Traditionen bestimmen auch das Leben der Frauen im Dorf. Von klein auf wird ihnen beigebracht, dass sie wertlos sind. Wenn sie in jungen Jahren zwangsverheiratet werden, setzt sich Dienen in der Familie des Mannes fort, häusliche und sexuelle Gewalt oft inbegriffen. Was es heißt, Opfer von Diskriminierung zu sein, erfahre ich selbst, als ich nach Indien komme, um zu heiraten. Eine Witwe feiert Hochzeit? Ein Skandal!

„Probier es einfach mal“, hatte mich eine Freundin 2015 ermuntert, während sie auf einer Partnerschaftsbörse ein Profil von mir erstellte. Vier Jahre zuvor war mein Mann gestorben, ich war Mutter zweier erwachsener Kinder, vierfache Großmutter und arbeitete in Hamburg als Rentenberaterin. Ich ließ mich auf die Idee ein und bekam eine Nachricht von Shatrughna. Er war ebenfalls verwitwet und wurde von unserer späten Liebe genauso überrascht wie ich. Als wir beschlossen, 2017 in Indien zu heiraten, wussten wir nicht, welche Sensation wir damit auslösen würden. Witwen werden