DER WETTLAUF ZUM SÜDPOL

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Wer sollte als erster Mensch das südliche Ende der Welt erreichen? Ein Norweger und ein Brite sorgten im Jahr 1911 mit zwei Antarktis-Expeditionen für Schlagzeilen.

JAVIER CACHO WISSENSCHAFTLER, SCHRIFTSTELLER UND AUTOR VON „AMUNDSEN – SCOTT: DUELL IN DER ANTARKTIS“ DEUTSCHE BEARBEITUNG: RALPH KREUZER

AMUNDSEN UND SCOTT

MITTERNACHTSSONNE Ein Novembertag in der Antarktis. Das fast ununterbrochene Sonnenlicht machte die Männer schneeblind und erschwerte Amundsen und Scott das Weiterkommen.
NATURE PICTURE LIBRARY / ALAMY / ACI

Am 15. Juni 1910 jubelte ganz England der Terra Nova zu, dem Schiff, das von Cardiff aufbrach, um den Südpol zu erobern. Noch nie in der Geschichte der Entdeckungsreisen war eine Expedition so zuversichtlich gewesen, ihr Ziel zu erreichen: Sie verfügte über die modernste Ausrüstung, die meisten ihrer Männer hatten Polarerfahrung, und vier Fünftel der Route waren bereits zwei Jahre zuvor von einem Landsmann, Ernest Shackleton, erkundet worden.

Alles sah danach aus, als würde es Kapitän Robert Falcon Scott als Erstem gelingen, am Südpol die Fahne seines Landes ins Eis zu stecken – das war der einzige geografische Punkt von Bedeutung, den der Mensch noch nicht betreten hatte. Am 12. Oktober jedoch erhielt er ein Telegramm mit rätselhaftem Inhalt: „Proceeding South“ (unterwegs nach Süden). Diese knappen Worte setzten eine Kette von Ereignissen in Gang, die ihn schließlich sein Leben kosten sollten.

Das mysteriöse Telegramm betraf den Polarforscher Roald Amundsen, einen Norweger, der Ruhm erlangte, nachdem er die legendäre Nordwestpassage, die den Atlantischen mit dem Pazifischen Ozean im Norden Amerikas verbindet, gefunden hatte. Eine Route durch das Eis, die die besten Seefahrer seit drei Jahrhunderten vergeblich gesucht hatten.

Amundsen war das Kind einer wohlhabenden Reederfamilie und begeisterte sich früh für die Polarregionen. Der ausgezeichnete Sportler und erfahrene Skiläufer träumte davon, als Erster den Nordpol zu erreichen. Während der Durchquerung der Nordwestpassage kam er in Kontakt mit Ureinwohnern, von denen er jahrtausendealte Überlebenstechniken im Eis lernte. Ursprünglich wollte Amundsen all dieses Wissen bei einer Forschungsexpedition in der Arktis anwenden, wo er hoffte, seinen Traum zu verwirklichen. Doch 1909 musste er erfahren, dass man ihm zuvorgekommen war. Zwei amerikanische Entdecker, Robert Peary und Frederick Cook, behaupteten jeweils, zuerst am Nordpol gewesen zu sein, und bezichtigten einander gegenseitig der Lüge. In dieser Atmosphäre der Verwirrung erkannte Amundsen, dass seine Expedition ihr Ziel

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