DER MORDFALL ROMANOW DAS SCHICKSAL DES LETZTEN ZAREN

16 min lesen

Bolschewiken verschleppten und ermordeten 1918 Zar Nikolaus II. und seine Familie. Der staatlich verordnete Mantel des Schweigens darüber befeuerte fast ein Jahrhundert lang das Rätselraten über diese Ereignisse.

TOBY SAUL REGELMÄSSIGER AUTOR VON NATIONAL GEOGRAPHIC HISTORY UND THE TIMES LITERARY SUPPLEMENT DEUTSCHE BEARBEITUNG: RALPH KREUZER

AUS BESSEREN TAGEN
Die fünf Kinder des Zaren Nikolaus II. von Russland in einer Fotografie von 1910. Acht Jahre später brachten Krieg und Revolution für sie alle den gewaltsamen Tod. Unten rechts ein Porträtrahmen mit den Bildnissen von Zar Nikolaus II. und seiner Frau Alexandra.
BPK / SCALA, FLORENZ

Im Februar 1917 fegte die Revolution über Russland, und einen Monat später dankte Nikolaus II. als „Kaiser und Autokrat aller Reußen durch die Gnade Gottes“ ab. Er war nun, zumindest offiziell, der Bürger Nikolaus Romanow. Die Revolution und das katastrophale Versagen im Ersten Weltkrieg bescherten der Dynastie, die 1913 ihr drittes Jahrhundert an der Macht gefeiert hatte, ein jähes Ende. Die Bolschewiken internierten die Zarenfamilie an verschiedenen Orten – bis zu jener blutigen Nacht im Juli 1918, in der der Albtraum ihrer Vernichtung wahr wurde. Das Schicksal der Romanows war vorhersehbar, doch davon wollten sie lange nichts wissen.

Die Abdankung hätte für Nikolaus eine Erleichterung sein können. Nach dem Tod seines Vaters Alexander III. hatte er 1894 den Thron bestiegen. In Berichten beschrieben als ein durchschnittlicher Mann ohne große Fantasie oder Intellekt, erlaubten ihm weder seine Fähigkeiten noch sein Wesen, das Land durch derart turbulente Zeiten zu steuern. Seine chronische Unentschlossenheit ließ ihn oft bis zur letzten Minute zögern, bevor er einen Befehl ausgab, und auch dieser enthielt meist nur den letzten Ratschlag, den er von seiner Entourage erhalten hatte. Ein Kalauer, der in St. Petersburg die Runde machte, bezeichnete als die mächtigsten Menschen in Russland den Zaren – und denjenigen, mit dem er zuletzt gesprochen hatte.

Nikolaus war kein fortschrittlicher Herrscher. Er glaubte fest an seine gottgegebene Aufgabe als Zar, eine Sichtweise, die seine Ehefrau Alexandra mit ihm teilte. Das Volk fürchtete seine Ochrana, die dem Innenministerium unterstellte Geheimpolizei, denn sie agierte rücksichtslos und schreckte auch nicht vor Morden zurück. Als militärischer Führer konnte Nikolaus kaum auf Erfolge zurückblicken. 1905 verlor er den Krieg mit Japan um die Vorherrschaft in der Mandschurei und in Korea, wobei er bei seinem Volk viel Ansehen einbü�

Dieser Artikel ist erschienen in...