Üppige Schönheit VENUS DER STEINZEIT

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Die kleinen Skulpturen, Fundstücke aus ganz Europa, sind unverkennbar weiblichen Geschlechts. Über ihre Bedeutung rätselt die Forschung: Stellten die Figuren Göttinnen dar – oder gar „Pin-ups“?

MARCOS GARCÍA DÍEZ UNIVERSITÄT COMPLUTENSE, MADRID

HOHLE FELS
In der Höhle Hohle Fels in Süddeutschland wurde die heute älteste bekannte Venusfigur gefunden (Bild links); das Kunstwerk ist etwa 40 000 Jahre alt (Museum für Vorgeschichte, Blaubeuren).
ALAMY / ACI

Im französischen Laugerie-Basse entdeckte der Amateurarchäologe Paul Hurault, Marquis de Vibraye, um 1864 die kleine Statuette einer nackten Frau. Er verlieh ihr die Bezeichnung Vénus impudique („unanständige Venus“), da anders als bei den nackten Göttinnen der klassischen Antike Geschlecht und Brüste offen sichtbar waren. Damit hatte er einen Gattungsbegriff für weitere, ähnliche Funde geschaffen.

Mit den eleganten, wohlproportionierten Venusskulpturen der römischen bzw. griechischen Göttin der Liebe, Schönheit und Fruchtbarkeit besitzen die prähistorischen Venusfigurinen nämlich kaum Ähnlichkeit.

Göttinnen, Fetische, Spielzeug …?

Unter den künstlerischen Artefakten aus dem Paläolithikum sind Frauendarstellungen selten, kommen allerdings häufiger vor als Abbildungen von Männern. Die bekanntesten und durch ihren anatomischen Realismus auffallendsten zählen zum Typus der Venusfigurinen, die im 19. Jahrhundert auch die im kolonialen Kontext geprägte Bezeichnung „steatopygische Venus“ erhielten. Steatopygie bezeichnet eine auffallende Ansammlung von Fettgewebe im Bereich von Gesäß und Becken. Bei ihrer Entdeckung hielt man die Statuetten in der archäologischen Forschung für Darstellungen eines weiblichen Ideals, Prototypen der schönen Frau des ersten Homo sapiens (s. Kasten S. 96).

Welche Bedeutung die Figurinen, zu denen die berühmte „Venus von Willendorf “ zählt, tatsächlich einst gehabt haben, ist bis heute nicht restlos geklärt. Es gibt weder schriftliche noch bildliche Quellen, die uns helfen, ihren ursprünglichen Zweck zu erkennen. Unter anderem vermutete man, dass es sich bei den Figuren um mehr oder weniger porträtähnliche Darstellungen von Personen handelte, vielleicht auch um Ahnenbilder – in dem Fall hätten die Figuren einen zeremoniellen oder Gedenkcharakter gehabt und als Verbindung zwischen der Welt der Lebenden und der der Toten gedient. Laut einer anderen These stellten sie Priesterinnen oder Schamaninnen mit religiösen Funktionen dar, die als Verbindung zur Welt der Geister oder Götter fungierten. Möglicherweise sprach man den kleinen Figuren e

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