LOCKRUF DES POWDERS

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Mittelalterliche Dörfer, 5000 Meter hohe Gipfel und unberührter Tiefschnee – kein Wunder, dass es immer mehr abenteuerlustige Powderjunkies nach Swanetien zieht.

TEXT: FLORIAN SANKTJOHANSER | FOTOS: ENNO KAPITZA

Uschguli auf 2150 Metern führt den Titel »höchstgelegenes ganzjährig bewohntes Dorf Europas«.

Seit einer Stunde kämpfen wir uns steil durch Birken bergauf, hangeln uns um Stämme, balancieren auf den Skiern geduckt über Wurzeln. Zweige klatschen uns ins Gesicht und kratzen über den Rucksack, immer wieder höre ich jemanden fluchen. Aber dann öffnet sich der Wald, und in diesem Augenblick wissen wir, dass sich alles gelohnt hat.

»So was gibt es in den Alpen nicht mehr«, sagt unser Bergführer. Vor uns glitzert ein Hochtal voll jungfräulichen Schnees in der Sonne, keine einzige Spur, kein anderer Tourengeher ist zu sehen. Genau diesem Versprechen sind wir hierher gefolgt, nach Swanetien, in den Großen Kaukasus. So wie jedes Jahr mehr Freerider und Tourengeher, die die Gerüchte gehört haben: von 5000 Meter hohen Bergen, unberührtem Tiefschnee für alle und Dörfern wie im Mittelalter. Ein neues Shangri-La des Skifahrens.

Georgien ist ein Bergland par excellence, aber der Wintersport begann hier erst Mitte der 1930er Jahre, als die Sowjets die ersten Lifte in Bakuriani bauten. Der Kurort im Kleinen Kaukasus wurde zu einem Trainingszentrum für Bob, Biathlon, Skisprung und Skirennen. Mitte der 80er kam das Skigebiet Gudauri am Kasbek dazu. Das war's dann erst mal.

Swanetien, im Nordwesten Georgiens gelegen, blieb im Winter lange unerreichbar. Die Straße entlang des Enguri nach Mestia, erst 1935 gebaut, war wegen Steinschlag oft wochenlang gesperrt. Zudem fürchteten selbst Georgier die bewaffneten Banden, die Reisenden auflauerten. Oder die Swanen an sich. Schon der griechische Historiker Strabon beschrieb sie als Kriegervolk. Ob Araber, Perser, Mongolen oder Osmanen, kein Eroberer wagte sich jemals in ihre Hochtäler. Bis vor kurzem, so hört man, waren hier noch Blutrache und Brautraub en vogue.

Ski fuhren in diesen Bergen lange nur die wilden Swanen. Männer wie Shako Margiani. Der 33-Jährige hat muskulöse Arme, über den kantigen Wangenknochen blitzen stechende Augen. Sein Großvater war fünffacher sowjetischer Meister im Klettern, sein Vater schnitzte ihm und seinen Geschwistern Holzski. »Wir hatten einen selbstgebauten Lift: Motor, Stahlseil und Holzstücke zum Draufsitzen«, erzählt Margiani. »Die Pisten haben wir selbst planiert. Und im Frühling sind wir mi

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