Geschichts-Bewusstsein

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REPORTAGE RESTAURIERUNG MERCEDES 2-LITER-TARGA-FLORIO-RENNWAGEN

In leuchtendem Rot war er einer der Stars im Mercedes-Benz Museum, doch schon bald erstrahlt der Mercedes 2-Liter-Targa-Florio-Rennwagen wieder in jenem Originalton, in dem er vor 100 Jahren startete. Zum Geburtstag restaurierte Mercedes-Benz ihn nach allen Regeln der Kunst. Wir durften das Projekt begleiten und berichten in drei Folgen über die Arbeitsschritte, die Hochzeit von Motor und Chassis und die erste Probefahrt.

Gut zu wissen

Eckdaten: Vierzylinder, DOHC-16V, 1989 cm3 , 67,5 PS ohne, 126 PS mit Kompressor, 921 kg, 120 km/h, Bj. 1924

Charakter: Ein Zeitzeuge, der seit vielen Jahrzehnten kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben hat. Berührend in seiner Originalität, faszinierend als Restaurierungsobjekt

SERIE Teil 1

Im Konzernarchiv konnte ein wahrer Schatz gehoben werden
denn der Targa-Florio-Rennwagen ist hervorragend dokumentiert.
Fotos, Schriftgut, Originalpläne – alles ist vorhanden

ARCHIV-SCHATZSUCHE

Zunächst ist es nur ein großes Puzzle. Der originale Tank lehnt an einer Werkbank, wie der Panzer einer ausgestorbenen Schildkrötenart. An seiner massiven, angenieteten Befestigungsvorrichtung sind noch Spuren weinroten Lacks zu erkennen. Wie ein behutsam drapiertes Pflaster wirkt das Klebeband, auf dem jemand mit Kugelschreiber vermerkt hat : Vorsicht! Nicht entfernen!“ oder „Bitte unbedingt schauen!“. Das satte, tiefgründige Rot ist ein wahrer Schatz, denn es handelt sich um Reste der Originalfarbe von 1924.

Auf einem Rollwagen liegen vernarbte Aluminiumstreifen, die abmontierte Motorhaube breitet wie ein erstarrter Schmetterling die Flügel aus. Die untere Verkleidung des Motors liegt umgedreht auf einer Werkbank, dunkelrot, mit einer Patina wie jener auf uralten Buchrücken. Es sind nicht einfach nur Teile, sondern Artefakte, die uns 100 Jahre zurückversetzen.

Daimler, Porsche und die Targa

Damals, 1924, schickt sich die Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) zum dritten Mal nach 1921 und 1922 an, werksseitig an der Targa Florio auf Sizilien teilzunehmen, die seit 1906 als Langstreckenrennen ausgetragen und bis 1977 zum internationalen Rennkalender zählen wird. Für Stirling Moss, der sie 1955 mit Peter Collins auf einem 300 SLR-Rennsportwagen gewinnt, war sie einzigartig, nur mit der Mille Miglia sei sie vergleichbar gewesen. „Doch vom Rennaspekt her betrachtet war die Targa puristischer.“

1922 erringt der streckenkundige Italiener Giulio Masetti auf einem privat eingesetzten Mercedes 115 PS Grand-Prix-Rennwagen von 1914 den Gesamtsieg, nachdem er schon im Jahr zuvor auf Fiat triumphiert hat. Er lässt seinen Boliden in der italienischen Rennfarbe Dunkelrot lackieren und nicht im für Deutschland typischen Weiß, damit ihm seine patr