Winzer sind (irre) mutig

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Der Weirphilosoph

Silvio Nitzsche

Ihr seid irre. Ihr seid wahnsinnig, ihr Ausnahmewinzer – oder einfach nur mutig. Es ist unglaublich, was ihr macht, nur um die Qualitätsschraube noch ein My weiterzudrehen. Ihr seid die ungekrönten Helden aller Bauern. Ihr schafft es, auch bei stetigem Verlust optimistisch zu bleiben, seid kreativ und herrlich verrückt. Eure Gehaltserwartung gegenüber der Natur ist 100 Prozent Ertrag. Jede Wetterkapriole raubt euch den Speck aus der Winterkammer. Ihr seid es, die mit eurem oft naturnahen, biologischen oder gar biodynamischen Weinbau aus den Rebstöcken keine Produktionsmonster, sondern intakte, eigenständige und stabile Lebensformen werden lasst. Natürlich produzieren diese dann nur einen Bruchteil im Vergleich zu den Rebsklaven im Massenweinbau, aber die Weine strahlen eine Ruhe und Gelassenheit aus, die fühlbar ist. Über den zeitlichen und körperlichen Mehraufwand gegenüber dem automatisierten, chemiegeladenen, anonymen Industrieweingut braucht man gar nicht erst zu parlieren.

Und dann kommt die Ernte und die Zeit, in der eure Tage nicht selten schlaflos sind. Ihr also außer Körperhygiene und Essen nichts mehr für euch tut oder auch das vergesst. Nicht selten gibt es blitzschnelle, unkalkulierbare Wetterveränderungen, die euch durchdrehen lassen. Oft kommen fast über Nacht Schimmel oder Fäulnis hinzu, und ihr seht vor euren Augen und in euren Händen euren Jahreslohn dahinfaulen. Und doch schafft ihr es, nach vorn zu schauen. Nun beginnt man als frisch geborene Weineltern zu verlieren. Jede der circa hundert Weichen, die ein Kellermeister mit seinen Entscheidungen stellt, nimmt eventuell wieder ein Scheibchen vom Jahreslohn. Ein Arbeiten nah am Wahnsinn. Ihr seid die Helden der Keller, die Mutigen eurer Zunft. Seid ihr erfolgreich entlang der Grenzen gefahren, gebt ihr euch damit nicht zufrieden, sondern dreht das Rad des Wahnsinns im Folgejahr ein wenig weiter.

Zum Glück seid ihr konsequent qualitätsfanatisch An- und Ausbauenden nur eine kleine Zahl an Winzern, sonst müsste man diesen Beruf aus Sicherheitsgründen verbieten. Und wenn ihr dann eure Weine voller Stolz präsentiert, dann kommen sie, die Kritikgeier, die Preis

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