Mut ist manchmal, morgens aufzustehen

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Resilienz

ANGST VOR KRIEG ODER SOZIALEM ABSTIEG HABEN DERZEIT VIELE. UM DAMIT ZU LEBEN, BEDARF ES EINER BESONDEREN KRAFT. DARÜBER HINAUS GIBT ES ABER AUCH MEHR ALS ALLTAGSÄNGSTE – QUÄLENDE SORGEN, DIE KRANK MACHEN KÖNNEN ODER AUCH SYMPTOME EINER PSYCHISCHEN ERKRANKUNG SIND. Wir sprachen mit Robert Leiderer, 60, psychologischer Psychotherapeut, über verschiedene Strategien gegen Hilflosigkeit und Kraftquellen der Zuversicht.

ILLUSTRATION DOROTHEA PLUTA

MAX: Wie gefährdet sind wir in diesen unsicheren Zeiten, unsere Resilienz zu verlieren?

Peter Leiderer: Die Frage ist, ob wir in unsicheren Zeiten mit Hilflosigkeit reagieren, also keine Strategie haben, um Probleme zu lösen. Ganz konkret: Wir haben keinen Einfluss auf die Situation in der Ukraine. Beim Klimawandel könnten wir auf alle Fälle mehr tun, aber wir tun es nicht. Wir lenken uns leicht ab, durch die Dinge, die in unserem Wohlstand allgegenwärtig und bequem sind.

Man hat es gelernt, sich in schwierigen Situationen hilflos zu verhalten, weil man keine Lösung gefunden hat. Und es waren oft dramatische Situationen.

MAX: Ist in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche die psychische Anfälligkeit größer?

Leiderer: Ich würde sagen ja, es hängt immer davon ab, ob wir Hilflosigkeit schon aus der Biografie erlernt haben. Wenn wir Ohnmacht ertragen, statt etwas zu tun, dann sind wir in solchen Zeiten umso anfälliger. Wenn ich etwas tun kann, habe ich das Gefühl, nicht mehr ganz hilflos zu sein. Bezüglich der gesellschaftlichen Umbrüche können erlebte Ohnmacht und Hilflosigkeit auch zu radikaleren Gedanken und Handlungen führen, die vielleicht kurzfristig eine „Linderung“ schaffen, indem man seiner Wut freien Lauf lässt, langfristig aber eher zerstörerisch und spaltend wirken. Das führt in einem dauerhaften Erleben von Ohnmacht zu Konflikten, die dann nur mit Gewalt und Radikalisierung gelöst werden können. Und Gewalt ist keine moderne, vernunftgeleitete Lösung.

MAX: Welche Form von Techniken gibt es, um eine gewisse Standfestigkeit zu entwickeln?

Leiderer: Was mir in meiner Arbeit immer wieder auffällt, sind dysfunktionale Gedankenschleifen, wo man sich immer wieder ausmalt, was alles nicht geht. Sie basieren auf biografisch bedingten dysfunktionalen Überzeugungen. Eine wichtige Arbeit ist das Zurückkommen auf sich selbst, den Körper positiv wahrzunehmen, in Form von Bewegung, auch in Gruppen, etwa beim Yoga oder Qigong.

MAX: Am meisten Mut braucht wohl jemand, der eine psychische Erkrankung hat.

Leiderer: Alle Menschen brauchen Mut, um etwas zu verändern. Je nachdem, wie stark eine Symptomatik ist und wie lange sie schon besteht, also wie chronifiziert sie ist, braucht man mehr davon. Und sie brauchen Ressourcen, um überhaupt Dinge anzupacken. Ressourcen können sinnstiftende Tätigkeiten sein,

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