Vom Glück, glücklich zu sein

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Welches Glück ist erstrebenswert? | Warum unangenehme Gefühle für ein gelingendes Leben wichtig sind

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Dr. Tatjana Reichhart

„Welche Erwartungen belasten Dich am stärksten?“ Vor ein paar Monaten stellte ich genau diese Frage im Rahmen eines Vortrags für Studierende. Was wäre Deine Antwort gewesen? Die Antwort der Studierenden lautete: sie leiden am stärksten unter dem Druck, immer glücklich sein zu müssen.

Die (sozialen) Medien sind voll von Selbstoptimierungsangeboten: Bin ich noch nicht „fit“ genug, könne ich mich mit dieser App oder jenem Training „fitter“ machen. Unangenehme Gefühle seien „schlechte“ Gefühle, die man am besten betäubt, indem wir dieses Produkt kaufen, unser inneres Kind endlich aussöhnen, nach Buddhas Weisheiten leben bzw. diesen fantastischen Urlaub buchen. Oder indem wir ins Glücks-Coaching oder zu einem Yoga-, Meditations- oder Visions-Retreat gehen; alles, um noch leistungsfähiger und erfolgreicher zu werden in dieser linear beschleunigten Welt mit unerschöpflichen Optionen. Ziel und Erfolg des Lebens sei es, glücklich zu sein. So wird vermittelt, dass wir zu hundert Prozent für unser Glück und unser Wohlbefinden selbst verantwortlich sind.

Was aber, wenn unsere Realität ein ganz anderes Bild zeichnet, wir nicht so energievoll sind oder mehr Schlaf brauchen als die Kollegen? Und was, wenn wir nicht immer happy sind, wenn wir nicht jeden Stressor mit links bewältigen und auch mal an uns zweifeln, oder gar trübe Gedanken und Gefühle haben? Sind wir dann selbst schuld, haben wir versagt, uns und andere enttäuscht?

Im Folgenden decken wir die Mythen rund um das „Glücksdiktat“ auf und fassen die wissenschaftlichen Belege der Positiven Psychologie und der Resilienzforschung hinsichtlich der Zutaten für ein gelingendes Leben zusammen.

Ist es meine Schuld, wenn ich nicht glücklich bin?

Fachleute würden nie von Schuld sprechen, wenn es um Gesundheit, Wohlbefinden und ein gutes Leben geht. Es spielen immer viele Faktoren eine Rolle, die wir nie alle gänzlich entschlüsseln und vor allem nicht kausal zuordnen können. Weder haben wir allein die Verantwortung dafür, wenn wir uns traurig fühlen oder unzufrieden sind, noch sind ausschließlich die anderen, wie unsere Eltern, die Umwelt oder unsere Gene, „schuld“ an unserem Glück, Unglück, an unserer Widerstandsfähigkeit oder auch an

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