Anna Freud Brav sein ist gefährlich

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In die Fußstapfen des berühmten Vaters treten? Oder einen eigenen Weg gehen? Anna Freud, jüngste Tochter von Sigmund Freud, entscheidet sich, beides zu tun. Sie lernt bei ihrem großen Vorbild – und entwickelt dann völlig neue Methoden zur Therapie von Kindern. Das Porträt einer außergewöhnlichen Frau

TEXT JUTTA JUNGE FOTO FREUD MUSEUM LONDON AKG GETTY IMAGES SHUTTERSTOCK

Was ist ein Kind? Was kann es, darf es, muss es, will es? Wovon träumt es, wovor hat es die größte Angst? Fragen wie diese beschäftigen die Wissenschaft in keiner Weise, als Anna Freud – Tochter des weltberühmten Wiener Arztes und Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud – am 3. Dezember 1895 in Wien zur Welt kommt. 30 Jahre später wird man den inneren Vorgängen und Widersprüchen des kindlichen Lebens große wissenschaftliche Aufmerksamkeit schenken; das Werden und Gedeihen von Kindern und ihre psychische Gesundheit werden mehr und mehr die Forschung beschäftigen. Dank Anna Freud. Sie wird später als Begründerin der Kinderanalyse in die Geschichte eingehen. Und als die Frau, die die Therapiemethoden ihres Vaters verfeinerte.

Doch davon ahnt niemand etwas, als das Mädchen im ausklingenden 19. Jahrhundert im 9. Wiener Gemeindebezirk als jüngstes von sechs Kindern heranwächst. Anna ist alles andere als ein Wunschkind. Die Mutter hat bereits fünf Kinder und ist nicht gewillt, ein weiteres aufzuziehen. Stattdessen nimmt sie > die Dienste einer Hauslehrerin in Anspruch, die für Anna zu dem wird, was sie später als ihre „psychologische Mutter“ bezeichnet. Das Verhältnis zur leiblichen Mutter bleibt zeitlebens angespannt. „Ich habe mich bei ihr immer wie eine Fremde, wie ein ungebetener Gast gefühlt.” Die kleine Anna Freud ist ein ruheloses, rebellisches Kind. Sie ist bekannt für ihren Unfug und ihre Unbeugsamkeit. Durch ihr Verhalten verlangt sie Aufmerksamkeit und Beachtung, vor allem von der Mutter. Die reagiert meist ablehnend und oft mit Zorn, attestiert ihr einen „schwierigen Charakter“. Der Vater beobachtet sie mit liebevollem Interesse und ist ihr zugewandt, mehr als den Geschwistern. Wegen ihres starken Willens nennt er sie manchmal „kleiner, schwarzer Dämon“.

UNERWIDERTE LIEBE

Im Jahr 1912 legt Anna Freud am Cottage Lyzeum in Wien die Reifeprüfung mit Auszeichnung ab. Die Eltern legen viel Wert auf Bildung, allerdings eher für die Söhne als für die Töchter, und so drängen sie Anna, eine konventionelle hauswirtschaftliche Ausbildung zu absolvieren. Anna jedoch hat eigene Vorstellungen vom Leben – und die setzt sie nach langen Auseinandersetzungen durch