„Ich änderte die Welt nicht mehr, bis sie mir gefiel, sondern ließ mich von ihr leiten“

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Was stärkt unser Gehirn, was schützt uns vor trüben Gedanken, vor Stress? Spiritualität, sagt Dr. Lisa Miller, Professorin für Klinische Psychologie. Hier erklärt sie, warum, gibt Einblick in ihre weltweit einzigartige Forschung und verrät, wie sie selbst davon beeinflusst wurde …

PROF. DR. LISA MILLER

Erinnern Sie sich daran, wann Sie erstmals so etwas wie Spiritualität gespürt haben, Lisa?

Wenn ich als Kind den Zikaden lauschte, hatte ich das beruhigende Gefühl, nicht allein zu sein. Oder wenn ich mit Snoopy, meinem Hund, auf der Veranda saß, sein Kopf in meinem Schoß – dann waren die Wärme, der Friede zwischen uns so echt wie sein weiches Fell, das ich so gern streichelte. Am ersten Schultag jedoch fand ich auf meinem Bänkchen einen Kalender:

„Wenn ihr Erfolg haben wollt“, sagte die Lehrerin, „müsst ihr lernen, wie ihr mit eurer Zeit umgeht.“

Zeit bekam eine vollkommen andere Bedeutung …

… auf der Highschool konzentrierte ich mich auf gute Noten, damit ich studieren konnte. An der Uni machte ich Nachtschichten. Wenn ich einnickte, drückte ich mir das Gesicht auf irgendeiner Statistik platt. Ja, ich war ehrgeizig; handelte ziel- und erfolgsorientiert.

Was ließ Sie umdenken?

Manhattan, 1994. Ich arbeitete auf Station 6, Psychiatrie. Wir waren geschult, die Vergangenheit der Patienten nach den Ursachen ihres Leidens zu durchforsten, sie damit zu konfrontieren und ihnen so zu helfen. Doch das hielt nie lange an. Viele kamen wieder, wir nannten das „Drehtüreffekt“. Eines Tages, in der Gruppentherapie vor einem Feiertag, wünschten sich die Patienten einen Gottesdienst. Das hatte es auf Station noch nie gegeben ...

… aber Sie machten es möglich.

Ich wollte den Patienten etwas Freude schenken. Also kramte ich das alte Gebetsbuch meiner Großmutter heraus. Wir trafen uns in der Stationsküche, einem fensterlosen Raum mit Plastiktisch und ramponiertem Linoleum. Ich las ein paar Gebete vor, wir interpretierten sie. Ich nahm wahr, dass die Patienten deutlich lebendiger wurden. Als habe diese kleine Zeremonie Licht in ihre dunkelsten Winkel gebracht. Woran lag das?Meine Chefin überging meine Beobachtungen: „Dies ist ein Krankenhaus.“ Ich hatte gegen ein ungeschriebenes Gesetz verstoßen – Spiritualität ist in unserem Beruf tabu. Doch genau das wurde mein Ansporn.

Was haben Sie herausgefunden?

18 Jahre später konnte mein Team erstmals im MRT nachweisen, wie Spiritualität unser Gehirn beeinflusst: Studienteilnehmer, für die es von mittlerer, geringer oder unwesentlicher Bedeu tung w