GIBT ES EIN FAMILIENKARMA?

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Familienkarma: gibt es?

Traumata können vererbt werden. Was lange Zeit nur Gegenstand der Psychologie war, ist mittlerweile auch in der Genforschung angekommen. „Epigenetische Vererbung“ lautet der Begriff. Die gute Nachricht: Heilung ist möglich!

TEXT JUTTA JUNGE FOTO STOCKSY TJITSKE VAN LEEUWEN SHUTTERSTOCK PR

Als Kind plagen Christiane Hoffmann immer wieder die gleichen zwei Albträume: In dem einen werden hastig Dinge zusammengepackt, der andere handelt von einem übereilten Aufbruch und einer Flucht durch Schneelandschaften. Beide begleitet von der schrecklichen Angst, geliebte Menschen zu verlieren, und dem Gefühl, schutzlos ausgeliefert und verfolgt zu sein. Diese Bilder prägen die Kindheit der heutigen stellvertretenden Regierungssprecherin genauso wie die bleierne Sprachlosigkeit über das, was ihr Vater als 9-Jähriger erlebte: Flucht aus Schlesien im Januar 1945. Viel davon erzählt hat er seiner Tochter nicht. Außer, dass seine Mutter damals das Oberteil seines Matrosenanzugs zurückgelassen hatte, welcher zum Symbol seines Verlusts wurde. Christiane Hoffmann spürt schon früh, dass seine Geschichte nicht nur auf sie selbst, sondern auf die ganze Familie weiter wirkte. Sie offenbarte sich in den Schmerzen ihrer Mutter und in dem Gefühl, dass Heimat etwas ist, das es zwar einst gab, das aber lange schon verloren ist. Ist möglicherweise ein vererbtes Trauma der Grund dafür, dass die heute 55-Jährige als kleines Mädchen die Albträume ihrer Eltern träumte? In der Psychologie und in den Sozialwissenschaften ist schon länger bekannt, dass sich traumatische Erfahrungen auf die nachfolgenden Generationen auswirken. Wenn sich die Ursache von Ängsten, psychische Belastungen, Bindungsstörungen, körperlichen Beschwerden oder Krankheiten nicht in dem eigenen Leben, sondern in der nicht aufgearbeiteten Geschichte unserer Eltern, Großeltern oder gar Urgroßeltern verbirgt, spricht man von transgenerationaler Weitergabe. Erste Untersuchungen dazu begannen Mitte der 60er-Jahre, als vor allem Kinder von Holocaust-Überlebenden, aber auch sogenannte Kriegsenkel vermehrt nach therapeutischer Hilfe suchten. Die Mechanismen hinter dieser Weitergabe sind sehr komplex und bei Weitem nicht vollständig verstanden. Sicher ist: Einerseits wird ein Teil des Traumas über das Soziale weitergegeben, indem bestimmte destruktive Muster in der Erziehung und im Umgang miteinander wiederholt werden. Andererseits – und das ist eine relativ neue Erkenntnis – scheinen sich Traumata tief in unser Erbgut einzugraben. Ursprünglich glaubte man, dass unser genetisches Erbe einzig über die DNA unserer Eltern weitergegeben wird. Doch da