Allein auf einer Insel

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Wie fühlt sich Stille an, wenn du ganz allein bist? Anne Wesseling, Schriftstellerin und Philosophin, probiert es aus. Sie fährt nach Griend, auf eine unbewohnte Insel im westfriesischen Wattenmeer

Ein buddhistischer Mönch sagte mir einmal: „Je stiller du bist, desto mehr wirst du hören“, und ich weiß noch, wie ich kurz dachte: Stimmt irgendwie! Dann ging der Satz in meinem Alltagstrubel vollkommen unter. Jetzt, wo ich hier am Strand entlanglaufe, kommt er mir wieder in den Sinn. Hören. Fühlen. Ich spüre gerade den Sand unter meinen Füßen. Schwer ist er von den Wellen des Wattenmeeres. Beigefarben. Mit jedem Schritt quietscht er ein bisschen. Darauf achte ich sonst gar nicht. Ich höre die Seeschwalben und Möwen rufen. Das Schlipp-Schlopp des Wassers, wenn es über die Kieselsteine am Strand rollt. Hören. Fühlen. Die Stille erleben. Das Alleinsein. Was wird es mit mir machen? Das will ich herausfinden, hier, auf der Insel Griend im westfriesischen Wattenmeer. Sie ist Terschellings kleine Schwester, jener Urlaubsinsel, die für ihre langen Strände, die beschaulichen Dörfer und die unendlichen Radwege geliebt wird. Griend ist das Gegenteil: eine unbewohnte Insel, die unter Naturschutz steht. Nur Ornithologen und Meeresforscher dürfen herkommen. Und ausnahmsweise ich für ein paar Tage.

Was macht man mit einem Tag, an dem es nichts zu tun gibt?

Was mir als Erstes auffällt: Hier ist es gar nicht so still, wie ich angenommen hatte. Die Wellen! Die Vögel! Der Wind! Und im Cottage, in dem die Forscher übernachten, wenn sie hier sind, brummen ein paar vorwitzige Fliegen am Fenster. Wie laut auf einmal leise sein kann. Eine Stunde brauche ich, um die Insel zu umrunden. Dabei komme ich an zwanzig verschiedenen Stränden vorbei. An einem bringen die Kegelrobben ihre Jungen zur Welt, ein anderer ist voller Muscheln. Überall sind Vögel, die in den Wiesen hier leben. Ich ziehe meine Schuhe aus und gehe barfuß: durch das Wasser, durchs Gras. Ich springe über kleine Bäche. Wann habe ich das zum letzten Mal getan – und warum ist es eigentlich so lange her? Am Strand sehe ich meine Fußabdrücke von vorhin. Beobachte, wie sie unter den Wellen immer weniger werden und schließlich ganz verschwinden. Abends höre ich jemanden flüstern. Ist das der Wind, der tüchtig ums Cottage fegt? Weil sich die Haustür nicht abschließen lässt, stelle ich ein paar mit Wasser gefüllte Eimer vor die Tür. Ich würde den Eindringling scheppern hören … Doch wer sollte mich stören – wo ich hier ganz allein bin? Dennoch beruhigt mich mein kleiner Schutzwall irgendwie. Ich sehe dem Leucht