Was das Leben zusammenhält

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Wir haben es selbst in der Hand, ob wir kaputte Dinge wegwerfen oder ihnen eine zweite Chance geben. Ein Plädoyer fürs Nähen, Stopfen, Flicken – und für die schöne Haltung, die sich dahinter verbirgt

TEXT JUTTA JUNGE FOTO BLAVARG/TAVERNE AGENCY GETTY IMAGES ADOBE STOCK UND AUS DEM BUCH FLICKEN UND STOPFEN VON NINA UND SONYA MONTENEGRO

MENDING LIFE

Für unsere Großeltern war es noch ganz normal: Wenn etwas zerbrach oder zerriss, wurde es repariert. Es wurde geflickt, geleimt, geschraubt, gestopft, genäht. Mit anderen Worten: Es wurde wieder zusammengefügt und dann weiter genutzt. Heute ist es eine Ausnahme, Dinge zu reparieren. Hat der Pulli ein Loch im Ärmel, landet er im Müll. Hat die Jeans einen Riss am Knie, wird sie vielleicht noch zur Gartenarbeit getragen – oder gleich weggeworfen. Ohne groß nachzudenken, entsorgen wir Dinge, die eigentlich noch gut - also noch tragbar und nutzbar – sind.

De Schwestern Sonya und Nina Montenegro sind Illustratorinnen, Grafikerinnen und leidenschaftliche Ausbesserinnen. Vor etwa zehn Jahren haben sie begonnen, ihre Sachen zu reparieren, wenn sie abgenutzt oder kaputt waren. „Seit ich das Flicken gelernt habe, sehe ich ein Loch nicht mehr als Grund, ein Kleidungsstück wegzuwerfen“, sagt Sonya. „Ein Loch im Strumpf oder ein Riss in der Jacke ist vielmehr eine Einladung, den eigenen Einfallsreichtum zu trainieren und das Stopfen oder Nähen zu üben. Das ist extrem befriedigend.“ Ihre Schwester ergänzt: „Wir sind wahrlich keine Handarbeitsexpertinnen, aber darum geht es auch gar nicht. Es geht wohl eher darum, Dingen ein zweites Leben zu schenken.“ Seit 2016 publizieren die Schwestern einfache Anleitungen zum Ausbessern auf ihrer Instagram-Seite (@thefarwoods), 2020 schrieben sie ein Buch (Mending Life: A Handbook for Repairing Clothes and Hearts). Für die beiden Schwestern hat das Reparieren auch eine philosophische Ebene: „Die Zukunft zu erschaffen, in der wir leben wollen, wird Millionen kleine Akte der Versöhnung, Liebe und Reparatur erfordern.“

Was brauche ich wirklich?

Auch der renommierte Psychologe und Bestsellerautor Wolfgang Schmidbauer hat ein Buch über die „Kunst der Reparatur“ geschrieben. Er plädiert für deren Wertschätzung, denn sie erspart uns nicht nur Neukäufe, sondern hilft uns auch, wieder bessere und stabilere emotionale Bindungen aufzubauen – zu den Dingen, zu anderen Menschen und zu uns selbst. Was brauche ich wirklich? Was ist Ballast? Besitze ich vielleicht zu viel? Und: Sind nur unversehrte Dinge kostbar? Um all diese Fragen geht es bei der Wiederentdeckung der Reparatur, also