Der Gesang Gottes

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Die Bhagavad Gita ist das bedeutendste spirituelle Werk des Hinduismus – entstanden vor rund 5000 Jahren. In ihr finden sich Antworten auf die grundlegenden Fragen des Lebens. Eine Annäherung an die mystischste Schrift Indiens …

TEXT DOROTHEE TEVES FOTO ART OF THE EARTH DELHI

SPIRITUALITÄT

Bitte, geliebter Freund, sag mir – was soll das Ganze eigentlich?“ Mit diesen Worten beginnt das, was der preußische Gelehrte Wilhelm von Humboldt ehrfurchtsvoll als „das schönste, ja vielleicht das einzig wahrhafte philosophische Gedicht“ bezeichnete – die Bhagavad Gita; eine der bedeutendsten Schriften des Hinduismus, deren Titel übersetzt bedeutet: „Gesang des Erhabenen“. Denn genau genommen ist die Gita genau das: Ein Gesang mit 700 Strophen, eingebettet in die philosophische und religiöse Gedankensammlung des „Epos Mahabharata“, eines der umfangreichsten literarischen Werke aller Zeiten. Die Gita selbst stellt das Herzstück dieser Sammlung dar – als sogenannte Offenbarungsschrift, von der es heißt, die Weisen hätten sie einst vom Göttlichen selbst empfangen. Bis heute gilt sie als das grundlegende mystisch-spirituelle Werk Indiens – kein anderer Text der Hindu-Literatur wird so viel gelesen, so oft auswendig gelernt, so häufig zitiert. „Wenn mir manchmal die Enttäuschung ins Antlitz starrt, wenn ich verlassen, keinen Lichtstrahl erblicke, greife ich zur Bhagavad Gita“, erzählte auch Mahatma Gandhi. „Dann finde ich hier und dort eine Strophe und beginne zu lächeln, inmitten aller Tragödien, und mein Leben ist voll von Tragödien gewesen. Wenn sie alle keine sichtbaren Wunden auf mir hinterlassen haben, verdanke ich dies den Lehren der Gita.“

Behalte dein wahres inneres Selbst im Auge“

Im Vorwort zu seiner Übersetzung der Schrift schreibt Jack Hawley, ein langjähriger Schüler des indischen Gurus Sai Baba, sehr treffend: „Die Bhagavad Gita zu lesen, heißt, sanft hin und her zu pendeln zwischen dem Kopf und dem Herzen, zwischen dem Weltlichen und dem Spirituellen. In diesem Pendeln von der menschlichen zur göttlichen Dimension unserer selbst liegt die geheime, durchdringende Kraft der Gita, ihre Fähigkeit, uns zu erheben und zu bewegen.“ Und weiter: „Die Gita zu lesen, heißt, inspiriert zu werden, im wahren Sinne dieses Ausdrucks; den Geist eingehaucht zu bekommen, den uralten und immer neuen Atem spiritueller Energie einzuatmen.“

Tatsächlich wird die Gita im „Epos Mahabharata“ eingeleitet mit diesen Worten: „Was hier gefunden wird, kann woanders auch gefunden werden. Was hier nicht gefunden werden kann, kann nirgends gefunden werden.“ Und so führt