Aus der Tiefe des Herzens schöpfen

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Sie ist still, friedlich und doch so leuchtend. Wenn wahre Vergebung unser Leben berührt, so ist dies heilend und eine der wunderbarsten Erfahrungen, die wir machen können. Wie uns Vergebung wirklich gelingt und uns ein neues Leben zu schenken vermag

TEXT LINA KNOOP, DOROTHEE TEVES FOTO ELENA RAY

VERGEBUNG

Wenn wahre Vergebung geschieht, ist dies eine der erstaunlichsten und befreiendsten menschlichen Erfahrungen“, schreibt der amerikanische Schriftsteller Richard Holloway. „Die wahrhafte Schönheit und Kraft der Vergebung ist, dass sie uns die Zukunft schenkt. Das Leben.“ Und es ist wahr: Der Vergebung gelingt es, uns zu heilen. Alten Schmerz loszulassen.

„Wer verzeiht, der handelt weder gerecht noch logisch“, schreibt die Philosophin Svenja Flaßpöhler in ihrem Buch „Verzeihen. Vom Umgang mit Schuld“. Und tatsächlich – im Grunde bedeutet Vergebung: Verzicht auf Vergeltung. Verzicht auf Wiedergutmachung. Verzicht auf Rache. Denn wer vergibt, lässt ab, entsagt, hört auf, auf die Wunden zu zeigen, die ein anderer ihm zufügte. „Damit entzieht sich das Verzeihen dem Gesetz, das unser Leben fundamental bestimmt: Wer Schuld trägt, muss zahlen“, sagt Flaßpöhler. In Wahrheit also fällt uns Vergebung oft schwer. Und das, obwohl der Wunsch, einen anderen von seiner Schuld zu befreien, genauso in uns angelegt ist wie der Wunsch nach einer Wiedergutmachung. So beginnen die meisten Menschen, Bedingungen zu stellen. „Ich vergebe dir nur dann, wenn du darum bittest“, oder „Ich vergebe dir, wenn du dich endlich änderst.“

Vergebung ist absichtslos

„Wer aber wirklich vergibt, schielt nicht auf eine exakt bemessene Gegengabe“, so die Philosophin. „Vielmehr ist das Vergeben ein Akt des Schenkens.“ Betroffener und Täter kommen zusammen, in einem außergewöhnlichen, wie die Theologin Beate Weingardt es bezeichnet „beinahe schöpferischen, göttlichen Ereignis“. „Im Wort Vergebung wird das Negative des Verzichts, das dem Verzeihen innewohnt, in das positive des Gebens gewandelt“, so Weingardt. Vergebung ereignet sich absichtslos. Ist im wahrsten Sinne selbstlos. Der französische Philosoph Jacques Derrida schrieb dazu einst: „Man muss, so scheint mir, von der Tatsache ausgehen, dass es Unverzeihbares gibt. Ist es nicht eigentlich das Einzige, was es zu verzeihen gibt? Das Einzige, was nach Verzeihung ruft?“ Es ist dieser eine Satz, in dem Derrida versucht, die Magie der Vergebung festzuhalten. Einen Zustand jenseits aller Erklärungen.

Doch wie erreichen wir jenen Zustand, den die Philosophie oft zu beschreiben versuchte? Svenja Fl