»ES DARF NICHT SEIN, DASS MAN ICH AN DEN KRIEG GEWÖHNT«

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APPELL EINER UKRAINERIN

Vor genau zwei Jahren griff Russland die Ukraine an. Wir sprachen mit einer jungen Frau aus Kiew über Alltag im Ausnahmezustand, Hoffnung auf Frieden und warum es den Geflüchteten oft schlechter geht als den Menschen, die geblieben sind

TRÜMMERLAND Diese Ruine einer Kirche steht im Dorf Terny nordöstlich von Kiew

Als Russland die Ukraine überfiel, war Julia Solska (33) in Kiew. Sie erlebte die ersten Angriffe hautnah mit, führte Tagebuch und entwickelte daraus das beeindruckende Buch „Als ich im Krieg erwachte“ (Edel Books). Zwei Jahre später sterben immer noch Zivilisten und Soldaten – und Julia erzählt GRAZIA, wie die Menschen in ihrer Heimat und im deutschen Exil damit leben.

Julia Solska, Autorin und Deutschlehrerin

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an den 24. Februar 2022 denken?

JULIA SOLSKA: Einerseits ist die Zeit wie im Flug vergangen. Auf der anderen Seite sind zwei Jahre so eine lange Zeit, und noch immer sterben Menschen, gibt es weiterhin keine Lösung. Manchmal verliere ich die Geduld und die Hoffnung, möchte am liebsten gar keine Nachrichten mehr schauen. Man ist einfach nur müde und enttäuscht.

Damals waren Sie in Kiew. Hätten Sie geglaubt, dass der Krieg so lange dauern würde?

Immer wenn ich daran zurückdenke oder mich jemand darauf anspricht, kriege ich Gänsehaut. Am Anfang hatten wir eigentlich kein Gefühl dafür, was passieren wird, ob Russland innerhalb von zwei Wochen das Land womöglich überrennt und vollständig besetzt. Inzwischen wissen wir, dass es noch lange dauern kann, bis es Friedensverhandlungen gibt, vielleicht geht der Krieg ja noch fünf Jahre weiter. Ich fürchte, Putin ist nicht zu stoppen und längst nicht zufrieden mit dem, was er schon hat.

Haben die Menschen in der Ukraine sich an den Krieg „gewöhnt“?

Viele haben das Gefühl, dass sie nur Marionetten sind in einem Spiel, das endlos dauert. Aber klar, man gewöhnt sich an alles. Und das ist im Grunde, auch wenn es sich schlimm anhört, ganz gut so, denn sonst würde man ja verrückt – insbesondere diejenigen, die daheim geblieben sind. Aber eigentlich darf es nicht sein, dass man sich an so etwas Schreckliches gewöhnt, wie im Krieg und in der totalen Ungewissheit zu leben. Auch wenn man nicht weiß, was der nächste Tag bringt und worauf man sich eventuell einstellen muss, versuchen die Menschen trotzdem, jeden Augenblick des Lebens zu schätzen, all die kleinen, alltäglichen Dinge.

»WIR SIND EIN LAND ZWISCHEN MUT UND VERZWEIFLUNG«

Wie nehmen Sie Verwandte und Freunde bei Heimatbesuchen wahr oder wenn Sie mailen und miteinander telefonieren?

Ich bin immer wieder erstaunt, wie positiv und humorvoll sie trotz allem bleiben. Sie haben nicht einmal mehr Angst. Luftalarm? Okay, dann schnell in einen Schutzraum. Do

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