Vom Abschied und Loslassen

6 min lesen

Wer einen geliebten Menschen verliert, kann die Wucht der Trauer, den Schmerz, die Ohnmacht kaum ertragen. Zwei Frauen über ihren Weg zurück ins Leben

Es war ein Montag kurz vor Weihnachten. Unser erstes Fest als kleine Familie sollte es werden. Mittags wollte mein Mann eine kurze Runde joggen gehen. „Wenn ich zurück bin“, sagte er, „können wir essen.“ Tim, unser sechs Monate alter Sohn, bekam noch schnell einen Kuss auf die Stirn, ich einen Abschiedskuss. Dann ist er los – und kam einfach nicht wieder. Ich wurde sauer, dachte nur: „Wieso kommt er nicht, er weiß doch, dass ich mit dem Essen warte.“ Irgendwann klingelte eine Nachbarin und erzählte völlig aufgelöst, dass die Straße um die Ecke abgesperrt sei, weil man dort einen toten Jogger gefunden habe.

Ich wusste gleich, dass etwas Schreckliches passiert war und der Jogger mein Mann sein musste. Ein Anruf bei der Polizei bestätigte schließlich meine Ahnung. Mein Mann hatte einen Herzinfarkt erlitten. Er war reanimiert worden, allerdings so spät, dass mit schweren Hirnschäden gerechnet werden musste.

Bis heute liegen die nächsten Stunden und Tage wie im Nebel. An vieles kann ich mich nur bruchstückartig erinnern. Ich habe meine Schwiegereltern und meine Eltern angerufen, und ich glaube, ich habe Wäsche gefaltet, um nicht durchzudrehen, bis ich endlich in die Klinik konnte. Als ich am Abend dort ankam, lag mein Mann auf einem Eisbett. Die Ärzte hofften, auf diese Weise die Hirnschwellung in den Griff zu bekommen. Der Anblick brach mir das Herz. Mein großer, starker Mann lag da wie ein gefällter Baum. Und in dem Moment wusste ich, dass er sterben würde.

Zwei Tage später klingelte dann sehr früh das Telefon. Die Klinik war dran, und man sagte mir, dass ich sofort kommen sollte. Ich weiß noch, dass es ein eiskalter Morgen war.

Die Scheiben am Auto waren gefroren. Als ich meinen Mann sah, spürte ich, dass er dabei war zu gehen, aber aus Liebe zu uns nicht loslassen konnte. Seine Seele brauchte mein Okay. Das waren sehr tiefe Momente, Momente zwischen Himmel und Erde, die man nicht beschreiben kann. In mir machte sich eine Klarheit breit und eine ungeahnte Stärke. Aus tiefster Liebe heraus konnte ich meinem Mann schließlich sagen: „Du darfst gehen. Wir werden es schaffen, das verspreche ich dir!“ Wenige Augenblicke später ist er in meinen Armen gestorben. Und ich ein Stück weit mit ihm.

Ich bin unter anderem studierte Theologin. Glaube und Spiritualität haben mich mein Leben lang begleitet. Das lindert den Schmerz nicht, dennoch – obwohl ich nicht wusste, wie es weitergehen soll, ich meinen Halt verloren hatte und kaum atmen konnte – war da ein Gefühl des Getragenwerdens. Ich bin mir sicher: Ohne meinen Glauben würde ich hier und heute nicht stehen.

In der ersten

Dieser Artikel ist erschienen in...

Ähnliche Artikel

Ähnliche Artikel