Inflation ist ein Staatsbankrott in Zeitlupe“

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INTERVIEW

Raphaël Gallardo, Chefvolkswirt von Carmignac, über geopolitische Risiken, ein neues Inflations-Drehbuch für die Finanzmärkte und Schwüre von Christine Lagarde

Vita

Geboren 1974 in Toulouse

Ingenieur-Studium an der École Nationale Supérieure des Mines in Paris

1997 Karrierestart bei BNP Paribas, Leiter des makroökonomischen Researchs ab 2007 bei Axa IM; ab 2012 bei Rothschild & Cie. Gestion

seit 2018 Chefvolkswirt im Cross Asset Team von Carmignac

CARMIGNAC-EXPERTE GALLARDO: „Ich bin gegenüber den Unkenrufen, die vom Ende des Dollar-Zeitalters sprechen, sehr skeptisch“
Foto: Jean-Charles Caslot/Carmignac

Die geopolitischen Spannungen nehmen weltweit zu. Wie groß ist das Risiko für Anleger?

Raphaël Gallardo: Das ist sicherlich negativ. Wir sehen synchronisierte Versuche von China, Russland, dem Iran, Nord-Korea und Venezuela die geopolitische Ordnung zu zerstören, die die USA seit 1945 aufgebaut und aufrechterhalten haben. Mit diesen Risiken müssen Anleger umgehen. Aber derzeit legen die meisten Investoren ihr Hauptaugenmerk auf die besseren Nachrichten von der Weltkonjunktur: Vor allem darauf, dass die meisten Zentralbanken ihre Leitzinsen senken oder dies bald tun wollen.

Aktienanleger scheinen mit einem Goldilocks-Szenario mit sinkenden Inflationsraten und moderatem Wachstum zu rechnen. Ist der Optimismus aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?

Gallardo: Wir sind vorerst im Team Optimismus. Wir sehen derzeit drei große Themen, die für eine synchronisierte Erholung sprechen, für einen weltweit gleichzeitigen Aufschwung: Das ist erstens eine deutliche Erholung im verarbeitenden Gewerbe. Begonnen hat die Erholung in Südkorea und Taiwan mit Halbleitern, sie erstreckt sich aber inzwischen auf die Industrie weltweit. Dann sehen wir zweitens geldpolitische Lockerungen in allen wichtigen Industrienationen mit Ausnahme Japans. Zinssenkungen sind wegen der deutlich gesunkenen Inflationsraten jetzt möglich. Und drittens gibt es enorm hohe strukturelle Investitionen, die die Konjunktur ankurbeln: in künstliche Intelligenz, in grüne Energieinfrastrukturen, in Produktionsstrukturen aufgrund von Reshoring und in Verteidigungsgüter.

Sie prognostizieren einerseits eine weltweite konjunkturelle Erholung und bessere Konjunkturdaten, andererseits Zinssenkungen durch die Zentralbanken. Wie passt das zusammen?

Gallardo: Die meisten Zentralbanken können es sich leisten, selbst bei diesen zyklischen „grünen Trieben“ die Zinssätze zu senken, da die Inflation seit ihrem Höchststand im Jahr 2022 deutlich zurückgegangen ist. Sie werden nicht warten, bis die Inflation wieder ihre Zielmarke erreicht hat, bevor sie die Zinsen senken. Außerdem müssen wir uns an eine „neue Normalität“ mit höheren Inflationsraten gewöhnen. Das Drehbuch der verga

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