Was sollen wir tun, Herr Kant?

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Was wir von dem revolutionären Denker Immanuel Kant, der vor 300 Jahren geboren wurde, lernen können. Gerade heute

Kluger Kopf Immanuel Kant (1724–1804) gilt als wirkmächtiger Philosoph.Kann sein Denken helfen in einer Welt der Krisen und Kriege?
Fotos: akg-images, Hatem Ali/AP Photo, ddp images, dpa

Das Buch verkaufte sich nicht. Kaum jemand wollte oder konnte die verschwurbelten Sätze entschlüsseln und die verstiegenen Gedanken verstehen, mit denen jener merkwürdige Gelehrte im fernen Königsberg seine 1781 veröffentlichte „Critik der reinen Vernunft“ angefüllt hatte. Der 57-jährige Verfasser dieser dunklen Schrift, Immanuel Kant, versuchte seine Freunde und wohl auch sich selbst zu beruhigen. Die „erste Betäubung“ bei der Leserschaft werde schon bald nachlassen.

Sie ließ nach. 1787 erschien die zweite, überarbeitete Neuauflage. Andere Denker nahmen die „Critik“ wahr – und erkannten in ihr eine Kraft, die alles bisher Gedachte zu stürzen und zu zermalmen schien. Das Buch wurde zum Bestseller, sein inzwischen schon betagter Autor zum König der Denker gekürt, zum Herold einer neuen Zeit. Zum „Weltweisen“.

Das ist er bis heute geblieben. Kant gilt – trotz mancher schwerwiegender und berechtigter Einwände – als einer der wirkmächtigsten Denker überhaupt. Vergleichbar allenfalls mit dem antiken Philosophen-Vater Platon. Der Weg der europäischen Geschichte ist ohne die geistigen Weichenstellungen des zierlichen Meisterdenkers kaum erklärbar. Kant lehrte eine neue, revolutionäre Theorie des Erkennens und Handelns. Die Vorstellungen einer freien, durch keine Zensur zu fesselnden Vernunft, einer universell geltenden menschlichen Würde, eines moralisch begründeten Fortschritts hin zu einer Welt der allgemeinen Wohlfahrt und des Friedens sind zwar nicht erstmals von Kant formuliert worden. Er aber durchdachte und formulierte sie so grundlegend wie keiner vor ihm. Wenn es etwas gibt wie ein Haus der Vernunft, das dem modernen Menschen Zuflucht und Heimat bietet, so hat Kant für dieses Haus das Fundament geschaffen.

Was dürfen wir hoffen?

In der Hölle des Krieges Eine 75-jährige Ukrainerin, die sich während eines Angriffs im Keller versteckt

Ein Fundament, das noch immer trägt? Finden sich bei Kant, der vor dreihundert Jahren geboren wurde, Antworten, die für den heutigen Menschen Gültigkeit besitzen? Die ihm helfen, sich selbst zu verstehen? Die ihm Orientierung geben in einer Zeit der Abbrüche und Abgründe?

Kant selbst lebte in einer Phase geistiger und politischer Umwälzungen. Mit Leidenschaft beobachtete er die Französische Revolution und ihre Folgen. Er verfolgte den Aufstieg des Imperators und Despoten Napoleon. Kriege und mit ihnen einhergehendes Leid erfuhr er zwar nicht am eigenen Leib – aber er wusste um die „Übel“, die Menschen einander antun können. W

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