In Putins Reich

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RUSSLAND

Moskau feiert und konsumiert, als ob es keinen Krieg gäbe. Einblicke in die Seelenlage der Russen bei einer Reise kurz vor der Präsidentschaftswahl

Großer Auftritt Auf einer Videowand im Norden Moskaus wird Wladimir Putins Rede zur Lage der Nation übertragen. Publikum ist nicht vorhanden
Foto: Alexander Gronsky
Ganze Pracht Moskaus Einkaufszentrum GUM erstrahlt im Lichterglanz, als gäbe es weder Despotismus im Land noch Ukraine-Krieg. Der Luxus wird zum Ablenkungsmanöver
Tiefe Trauer Auch noch Tage nach seiner Beerdigung besuchen Tausende Menschen das Grab von Oppositionsführer Alexej Nawalny und überhäufen es mit Blumen

Manchmal klingt es, als seien Junggesellinnenklubs unterwegs. Lautes Lachen, Klatschen, ein bisschen Gekreische. Im zentralen Moskauer Meschtschansky-Bezirk ziehen Russinnen grüppchenweise durch die Stadt, viele mit Blumen in der Hand. Auf dem Kuznetsky Most singt sich die Popgruppe „Schenja“ die Seele aus dem Leib. Einige Zuhörerinnen summen mit, andere tänzeln. Fröhlichkeit überall. Die Moskauer zelebrieren den Internationalen Frauentag, schon immer ein besonderer Feieranlass in Russland. Es ist Abend, und die spektakuläre, noch weihnachtliche Beleuchtung taucht die Metropole in ein glitzerndes Lichtermeer.

Rund 1000 Kilometer weiter südlich haben sich an diesem Tag ukrainische und russische Truppen weitere 63 Gefechte geliefert, wird der ukrainische Generalstab am nächsten Morgen mitteilen. Die einzigen Lichtblitze dort stammen aus todbringenden Batterien der Mehrfachraketenwerfer oder von Drohnen und Artilleriebeschuss im Osten und Südosten der Ukraine.

Die einen feiern, die anderen sterben – so ist das an diesem 744. Tag des Krieges mitten in Europa. Und ausgerechnet die Stadt, in der die Entscheidung zum Überfall auf die Ukraine fiel, scheint keine Notiz davon zu nehmen. Moskau feiert, kauft, baut, fährt Rolls-Royce oder roséfarbene Teslas; es sieht aus wie immer, seit sich die russische Metropole in ein Eldorado der Reichen und Schönen verwandelt hat.

„Am Anfang waren noch viele gegen den Krieg“, sagt Andrej*, der mit seinem Vater einen kleinen touristischen Familienbetrieb führt. „Jetzt haben sich die Moskauer an ihn gewöhnt. Die meisten merken dort ja auch nichts davon.“

Stimmt das? Was denken die Russen über diesen Krieg, der sie zu Outsidern in der westlichen Welt gemacht hat? Wie gehen sie mit den Sanktionen um, wie denken sie über die Zukunft? Russland ist Europa und den USA fast so fremd geworden wie einst die Sowjetunion, nicht zuletzt auch als Folge der massiven Einschränkungen, die ausländische Journalisten – einschließlich der FOCUS-Autorin – bei ihrer Arbeit zunehmend erleben. Der US-Journalist Evan Gershkovich sitzt wegen Spionagevorwürfen seit fast einem Jahr in Untersuchungshaft. Besuche sind selten geworden. Aber es i

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