Der Präsident, die Hoffnung und die Kettensäge

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ARGENTINIEN

Javier Milei trat als Staatsoberhaupt an, um Argentinien von Missmanagement, Korruption und Schuldenlast zu befreien. Seit 100 Tagen ist er nun im Amt und viele erkennen ihr Land kaum wieder. Rabiat zwingt es der neue Präsident auf Wachstumskurs – zu einem hohen Preis

Harte Währung Erwartungsvoll blicken Javier Mileis Unterstützer der Einführung des US-Dollar in Argentinien entgegen. Das Porträt des Präsidenten auf der Abbildung eines 100-Dollar-Scheins symbolisiert diese Hoffnung
Foto: Luis Robayo/AFP

So etwas gab es noch nie: eine Eröffnung der argentinischen Parlamentssaison um neun Uhr abends. Mit Einschaltquoten, als würde Messi auflaufen. 51 Prozent der Bevölkerung sahen sich das Spektakel am 1. März an. Allerdings ging es hier nicht um ein Fußballspiel. Es ging ums Ganze, um das so große und so dramatisch verarmte Land – und um einen neuen Weg aus der chronischen Krise.

Es sprach Javier Milei, der erste libertäre Präsident der Welt. Er verachtet Staaten und hasst Politiker. Nun führt er selbst einen Staat und hasst Politiker noch mehr, sich selbst natürlich ausgenommen.

„Ich bin nicht angetreten, um dieses mediokre Spiel der Politik zu spielen, ich bin hier, um das Land wirklich zu verändern“, schleuderte er den 257 Abgeordneten, den 24 Provinzgouverneuren und den vier obersten Richtern im Halbrund des Kongresses entgegen. Von den Rängen der Zuschauertribüne skandierten Mileis junge Anhänger: „Wer nicht applaudiert, der gehört zur Kaste!“ Gemeint ist damit das politische Establishment des Landes, das Argentinien in den vergangenen Jahrzehnten herunterwirtschaftete.

Milei hob seinen Blick und zwinkerte seinen Fans zu und womöglich auch jenen „himmlischen Kräften“, die er nicht müde wird anzurufen, angesichts all des irdischen Unrats, den er beseitigen will.

Am 19. März wird Milei 100 Tage im Amt sein. Der Polit-Punk, der sich im Wahlkampf mit Kettensäge in Szene setzte, versprach, den Dollar einzuführen und die Zentralbank zu schließen. Mit einem Rekordergebnis gewann er die Stichwahl, gegen den korruptionsumwölkten Spitzenkandidaten eines Systems, das ein einst reiches Land sukzessive von der Ersten in die Dritte Welt regiert hat.

Kann es Milei also besser? Die Voraussetzungen sind eher ungünstig. Er hat keine Großpartei hinter sich, wie Donald Trump. Milei ist ein schillernder Solist, der das Land ganz allein auf Wachstumskurs zwingen will.

Vielen Argentiniern müssen seine ersten 100 Tage im Amt wie mindestens 1000 Tage vorgekommen sein. Nichts ist mehr, wie es jahrzehntelang war. Die Preise explodieren, vermeintlich sichere Arbeitsplätze sind plötzlich gefährdet. Die Armut wächst. Und auch das politische Spektrum ist kaum wiederzuerkennen. Die Mitte-Rechts-Koalition, die vor einem Jahr mit einem sicheren Wahlsieg

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