„Wir müssen bösgläubig sein“

6 min lesen

BUNDESWEHR-LEAK

Für Hans-Peter Bartels, Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, beweist der Abhörskandal, dass die Bundeswehr noch lernen muss, was Zeitenwende bedeutet

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) kommt als Krisenmanager nicht zur Ruhe. Jetzt muss er sich auch noch mit einem Spionageskandal herumschlagen. Offiziere der Luftwaffe, darunter ihr Inspekteur Ingo Gerhartz, wurden bei einem brisanten Dienstgespräch abgehört. Die Militärs erörterten ob und wie ein Einsatz des Marschflugkörpers Taurus in der Ukraine überhaupt möglich wäre. Kanzler Olaf Scholz will diese Waffe partout nicht liefern. Einer aus der Runde hatte sich aus Singapur über eine ungeschützte Leitung zuschalten lassen. Bald darauf verbreiteten russische Medien einen Mitschnitt des Gesprächs im Internet. Von einem „schweren Fehler“, spricht Pistorius. Nun prüfen Ermittler, ob sich die Offiziere wegen möglicher Dienstvergehen verantworten müssen. Der politische Schaden ist beträchtlich, die Bundeswehr blamiert. Hans-Peter Bartels, Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, früherer SPD-Politiker und von 2015 bis 2020 Wehrbeauftragter des Bundestags, spricht mit FOCUS über sorglose Offiziere, einem Minister in Not und einem Kanzler, der doch nicht nur als Zauderer auffällt.

Der Bundeswehrkenner Hans-Peter Bartels, 62, hat als Wehrbeauftragter des Bundestages von 2015 bis 2020 über den Zustand der Truppe gewacht, zuvor war er SPD-Verteidigungsexperte

Der Abhörfall zeigt, wie weit Deutschland in das Blickfeld der Russen gerückt ist. Ist die Bundeswehr im dritten Jahr des Ukraine-Krieges noch naiv, was die Bedrohungslage angeht?

Wir können uns keine Naivität mehr erlauben. Spätestens seit dem Überfall auf die Ukraine wissen wir, dass es auch für uns ungemütlich wird. Putin hat dem sogenannten ‚kollektiven Westen‘ zum Feind erklärt. Zwischen der Atom-Supermacht Russland und der Nato gibt es einen neuen Kalten Krieg – nicht vielleicht, nicht irgendwann, sondern wirklich und jetzt. Weder in der Bundeswehr noch in der deutschen Gesellschaft ist bisher vollständig angekommen, was die Zeitenwende von 2022 bedeutet: Wir brauchen wieder eine Truppe, die im Ernstfall kämpfen kann. Nur präsente Stärke schreckt ab. Die Zeit der Abrüstungsarmee ist vorbei.

Wie ernst ist diese Sicherheitspanne?

Was da in der Videokonferenz scheinbar offenbart worden ist, stand zum Teil vorher schon in Zeitungen oder wurde auch öffentlich vom Bundeskanzler selbst angesprochen. Die Luftwaffen-Offiziere haben ja nicht über Frequenzbänder oder technische Details der Programmierung des Taurus-Marschflugkörpers gesprochen. Wirkliche Geheimnisse sind also, glaube ich, nicht verraten worden. Aber der Kreml kann das Gespräch für seine Propaganda ausschlachten: Deutschland diskutiert über die Begr

Dieser Artikel ist erschienen in...