Die Blaumacher-Republik?

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Selten zuvor haben sich die Deutschen so viele Tage krankgemeldet wie 2023. Die Suche nach den Ursachen liefert teils überraschende Antworten

SPD-Gesundheitsminister Lauterbach Abmelden per Telefon reicht ihm
Foto: Chris Emil Janßen/imago images

Ihre jährliche Gesundheitsprämie kann die Belegschaft des nordrhein-westfälischen Fertigungstechnikunternehmens Kolb selbst ausrechnen: Krankheitstage geteilt durch die Arbeitstage im Jahr mal ein halber Monatslohn. Die Summe wird – in Euro – überwiesen. In der Praxis heißt das: Wer weniger krank ist, bekommt mehr Geld.

Geschäftsführer Holger Engels hält das nur für gerecht. Denn diese Mitarbeiter hätten schließlich „das ganze Jahr gearbeitet“ und „mehr zu den Unternehmensergebnissen beigetragen als jene, die einen Monat krank waren“. Zahlreiche Arbeitgeber teilen die Ansicht des Mittelständlers – und bieten vergleichbare Prämien. Sie wollen dem aktuellen Trend zur Krankschreibung etwas entgegensetzen und Anreize schaffen, arbeiten zu gehen. Auch wenn die Woche hart und das Wochenende nah ist. Denn die Betriebe bezahlen die Arbeitsausfälle teuer.

20 Tage meldeten sich Beschäftigte im vergangenen Jahr krank. Im Schnitt. Dem deutschen Bruttoinlandsprodukt (BIP) sind deswegen 26 Milliarden Euro entgangen. Ohne die Arbeitsausfälle wäre das BIP nach den Berechnungen des Verbandes der forschenden Pharma-Unternehmen 2023 nicht um 0,3 Prozent geschrumpft, sondern um 0,5 Prozent gewachsen.

In Sachen Krankenstand hat Deutschland zuletzt selbst die USA überholt. 64,5 Prozent aller Beschäftigen waren im vergangenen Jahr mindestens einen Tag krankgeschrieben. Die DAK meldete 13 Prozent mehr Ausfälle als im Jahr davor. 20,6 Prozent der Atteste vergaben Ärzte aufgrund von Erkältungssymptomen, so die Statistik. Doch sind tatsächlich mehr Menschen gesundheitlich angeschlagen? Oder lassen sich nur mehr Menschen krankschreiben?

Schließlich ist das seit Anfang Dezember wieder bequem vom Sofa aus per Telefon möglich – wie auch schon während der Corona-Pandemie. SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach bezeichnet die Maßnahme als „wesentliche Entlastung für Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Ärzte“. Doch nicht alle dieser genannten Gruppen teilen seine Einschätzung.

Man dürfe es „Blaumachern“ nicht zu einfach machen, sagt Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberver- bandes. „Die Bescheinigung eines Arztes in der Praxis ist der wichtigste Nachweis für das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit. Der Arbeitgeber muss sich auf die dort enthaltenen Angaben verlassen können.“ Eine telefonische Krankschreibung ohne Untersuchung sei dafür nicht ausreichend.

Auch für den ZEW-Ökonomen Friedrich Heinemann müssten Ärzte stärker dazu angehalten werden, „nicht unnötig“ Atteste auszustellen. Für Arbeitnehmer fordert er höhere Hürden fürs Krankmelden. Man k�

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