Der akademische Raum wurde zum Boxring

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Hochschulleitungen sollten die Grenzen des respektvollen Diskurses über Israel und Gaza abstecken. Und Studierende müssen lernen, Differenzen einfach auszuhalten

Wenige Tagen nach dem 7. Oktober radelte ich mit meinem zweijährigen Sohn im Kindersitz über den Campus der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Es war Nachmittag, wir waren auf dem Weg von der Kita nach Hause, als uns plötzlich drei Studenten den Weg versperrten. „Free Palestine!“ riefen sie uns wieder und wieder ins Gesicht. Sie mussten mich erkannt haben. Ich habe nichts gegen Rufe zur Befreiung Palästinas, aber wie soll ich meinem kleinen Kind erklären, warum es mitten auf dem ruhigen Campus so angebrüllt wird?

Der akademische Raum, originär ein Raum des offenen Diskurses, in dem Wissen vermittelt, Argumente ausgetauscht, Standpunkte abgewogen werden sollen, ist zum sprichwörtlichen Boxring geworden. Anfang Februar wurde der jüdische Student Lahav Shapira, Bruder des Comedian Shahak Shapira und Enkel eines der beim Münchner Olympia-Attentat von 1972 Ermordeten, in Berlin auf offener Straße krankenhausreif geschlagen. Opfer und Täter studieren an der Freien Universität in Berlin. Erst einige Tage vorher hielten meine Frau und ich eine Public Lecture dort. Als wir den überfüllten Saal betraten, spürten wir die Spannung im Raum. Auf einer Seite war eine Gruppe mit Kufiyas. Auf der anderen Seite saßen die pro-israelischen Studenten. Im Vortrag warben wir dafür, von festgefahrenen Feindbildern und verkürzten Welterklärungen Abschied zu nehmen und die Komplexität des Nahostkonfliktes zu erkennen. Nun, nach dem Angriff auf Lahav Shapira, forderten der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, und der Antisemitismusbeauftragte des Bundes, Felix Klein, den Täter zu exmatrikulieren. Mittlerweile hat die Uni ein Hausverbot gegen den Angreifer verhängt. Ich finde das folgerichtig und wichtig, dass die Hochschule diesen Akt roher Gewalt nicht duldet – aber letzten Endes ist die Sanktionierung eines einzelnen Gewalttäters keine Lösung für das zugrunde liegende Problem.

Es ist festzustellen, dass Radikalisierungsprozesse innerhalb von Gruppen, die sich als palästinasolidarisch verstehen, vorangeschritten sind. Hörsaalbesetzungen, Sprengung von Diskussionsveranstaltungen, Rufe zur Vernichtung des Staates Israel „From the river to the sea“ sind an vielen Universitäten Realität geworden. Wie es oft der Fall ist, schadet eine radikale, gewaltbereite Minderheit, dem Anliegen der ganzen Gruppe. Denn wie sollten Einschüchterung und Gewalt gegen jüdische Studierende in Deutschland die Situation der Palästinenser in Gaza verbessern?

Foto: Christian Charisius/dpa

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