Gebt den Tauben eine Chance

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Reportage

Tauben haben es schwer bei uns. Als Hochzeitstauben werden sie geliebt, als „Ratten der Lüfte“ gehasst. Doch es gibt viele Gründe, warum wir diesen großartigen Tieren mehr Aufmerksamkeit schenken sollten

Tauben sind Ungeziefer!“, „Lasst sie alle verrecken!“ Es gab einen regelrechten medialen Aufschrei, als im Frühjahr eine Tierschützerin in einer Facebook-Gruppe herumfragte, wer denn freiwillig beim Füttern von Tauben helfen würde. Und kaum ein Thema polarisiert in Deutschland, Österreich und der Schweiz so sehr wie das Thema der Tauben in unseren Städten. 10.000 sollen es allein in Berlin sein. Man schätzt, dass etwa 500 Millionen Tauben weltweit in Städten leben. Sie gelten als „Ratten der Lüfte“, als „Krankheitsüberträger“ und als „schmutzig“. Doch wenn man einmal genauer hinschaut, ist das Thema viel komplexer, als einige Facebook-Mitglieder erahnen, die ihre vielen meist negativen Kommentare und Antworten dazu gaben.

Taube ist nicht gleich Taube

„Würde man vermutlich die Fütterung einstellen, würden sie vermutlich in Parks oder Wäldern fressen gehen“, ist eine Antwort. Doch so ist es eben leider nicht. Denn Taube ist nicht gleich Taube. Da gibt es die wilden Tauben wie Ringel- und Türkentaube, die gut in der Natur klarkommen und auch ihre Nahrung selbst finden. Doch die Tauben, die auf Plätzen und an Bahnhöfen herumlaufen, würden verhungern. Es handelt sich nämlich um domestizierte Tiere. Sie waren nie wild, sondern sind in einem Schlag aufgewachsen und wurden gefüttert. Stadttauben stammen von verwilderten Haus- und Brieftauben ab, die aus der am Mittelmeer heimischen Felsentaube gezüchtet wurden. Bei den Tauben in Bahnhöfen, auf Plätzen und in Fußgängerzonen handelt es sich also um verwilderte Haustiere – ausgesetzte oder entflogene Haustauben, verirrte Brieftauben und deren Nachkommen.

Und die Anzahl der leidenden Tiere wird größer, denn die Tauben wurden auf maximalen Ertrag gezüchtet. Anders als Wildtauben brüten Stadttauben das ganze Jahr über. Das hat eine lange Geschichte, denn der Mensch hat sie über Jahrhunderte hinweg aufgrund ihres Fleisches und ihrer Eier gezüchtet – und ausgenutzt. Den Tieren wurde also ein permanenter Brutzwang angezüchtet. Und so brüten Stadttauben im Gegensatz zu Wildtauben mehrmals im Jahr und produzieren am laufenden Band Nachwuchs. Das geschieht ständig – ganz gleich, ob genügend Nahrung oder ein geeigneter Lebensraum zur Verfügung steht. Bei Futtermangel sind die Eltern jedoch nicht mehr in der Lage, ihre Jungen zu versorgen. Die Küken verhungern. Ein Teufelskreis, der das Elend der Tiere noch verstärkt.

Unterschiedliches Verhalten Anders als ihre „wilden Kollegen“ brüten Stadttauben das ganze Jahr über

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