Die Politische Meinung
21 July 2023

Aus guten Gründen ist der Gedanke an Autorität in der Nachkriegszeit infrage gestellt worden, doch zeigt sich längst bis ins Alltägliche, dass es auch nicht ohne sie geht. Wenn Lehrkräfte sich in der Klasse bisweilen nicht mehr sicher fühlen und vor Schülern fürchten, dann kann dies keine gute Entwicklung sein. Dass Gewalt gegen die Polizei und Rettungsdienste zunimmt, ist ebenso wenig hinnehmbar. Autoritätsverluste hinterlassen brisante Leerstellen, in die Populisten mühelos eindringen. Überspitzt: Wo es an Autorität fehlt, kommen die Autoritären. Gänzlich antiautoritär versuchen sie zu zerstören, was an Autorität geblieben ist, und tragen gleichzeitig eine libidinöse Autoritätssehnsucht vor sich her, die – wie zu befürchten – nur Unterwerfung bedeuten kann. Die Begriffe „Autorität“ und „autoritär“ unterscheidet nur ein Buchstabe. Wer sich mit ihnen befasst, betritt heikles Terrain. Und doch kommt man nicht umhin, sich dem zu stellen, wenn es darum geht, die gewiss nicht unbeträchtlichen Akzeptanz- und Vertrauensreserven der Demokratie zu mobilisieren und zu stimulieren. Appelle zum Guten und Warnungen vor den Bösen sind dagegen wohlfeil und kontraproduktiv. Dazu bedürfte es einer Autorität, die es in den Augen derjenigen, die vor allem zu erreichen wären, nicht mehr gibt. Der Aufruf zum Zusammenhalt aller Demokraten überdeckt so lange eigene Verantwortlichkeiten, wie die Gründe für Glaubwürdigkeitsverluste reflexhaft nur in der mangelnden Einsicht anderer gesucht werden. Mit Autorität gewinnt man andere, wenn es auch als Aufruf an sich selbst verstanden wird – ohne ängstliches Ducken gegenüber der Wucht des Misstrauens, aber auch ohne die Entrückung in die Schwerelosigkeit moralischer Überlegenheit.

...Mehr lesen