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NEUER BLICK AUF DEN KOLONIALISMUS

Das deutsche Verhältnis zur Kolonialgeschichte hat sich drastisch verändert. Zunächst interessierte sich für das sperrige Thema nur eine meist linke akademische Minderheit, die sich in Metropolen wie Berlin oder Hamburg in „postkolonialen“ Zirkeln organisierte. Heute hingegen wird von Flensburg bis München dieses verdrängte Kapitel unserer Geschichte in all seinen Facetten wiederentdeckt.

Die Forderung nach Umbenennung von Straßen ist nur eine Erscheinungsform der Diskussion um die Hinterlassenschaften des Kolonialismus. Das Foto entstand 2020 bei einer Demonstration in der Berliner Mohrenstraße.
Picture Alliance / DPA / Christophe Gateau

Im sogenannten Historikerstreit 2.0 wird sogar diskutiert, welche Rolle der Kolonialismus im Verhältnis zum Nationalsozialismus in der deutschen Erinnerungskultur haben kann und darf. Auch die Politik hat mit der umstrittenen Rückgabe der Benin-Bronzen nach Nigeria im Dezember 2022 und der Entschuldigung des Bundespräsidenten in Tansania im November 2023 Akzente gesetzt.

Aktuell fördern alle demokratischen Parteien die Aufarbeitung von Kolonialgeschichte. Selbst Museen und Kirchen suchen nach einer neuen Haltung zu ihren historischen Verstrickungen im Geflecht kolonialer Herrschaft, stets verbunden mit dem Wunsch, auf diese Weise unserer sich durch Globalisierung und Migration wandelnden Gesellschaft besser gerecht zu werden. Im Kern geht es den postkolonialen Bewegungen darum, ein neues Bewusstsein für historisches Unrecht zu schaffen, das oft die Basis für den heutigen finanziellen und kulturellen Reichtum des Westens bildete. Im Fall Flensburgs etwa war dies die Erkenntnis, dass die sehenswerten Kapitänshäuser nur durch den profitablen Handel mit Rum erbaut werden konnten. Ein Getränk, dessen Grundstoff Zuckerrohr auf Plantagen in der Karibik durch Sklavenarbeit produziert wurde.

Häufig nehmen die Bewegungen auch Denkmäler oder Straßennamen in den Fokus, die bis heute Täter oder Profiteure des Kolonialismus würdigen. Während sich einige für eine Entfernung oder Umbenennung einsetzen, möchten andere diese Orte, mit entsprechenden Erklärungen versehen, als bewusste Steine des Anstoßes für die historische Aufklärungsarbeit bewahren. Wie schwierig eine solche Dekolonisation sein kann, zeigte zuletzt 2023 der gescheiterte Versuch, das Bismarck-Denkmal am Hamburger Hafen umzugestalten.

Ein weiteres Ziel des Postkolonialismus kann es sein, die weit zurückreichenden Wurzeln unserer heutigen multikulturellen Gesellschaft aufzudecken. So dienten schon lange vor Beginn der deutschen Kolonialzeit Menschen aus Afrika als sogenannte Kammermohren an deutschen Adelshöfen. Menschen aus Nordafrika dürften sogar schon in der Antike über die Netzwerke des Römischen Reiches Mitteleuropa erreicht haben.

Woher stammen die Sammlungen? Museen als Spiegel der Kolonialges

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