Das „gräßliche Schauspiel“ auf dem Schafott

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Forschung

Die bei Hinrichtungen gehaltenen, im Anschluss als Broschüren gedruckten „Standreden“ sind eine spannende kulturgeschichtliche Quelle – wie eine Edition solcher Texte nun eindrücklich zeigt.

Bis weit ins 19. Jahrhundert wurden in der Schweiz Todesurteile ausgesprochen und öffentliche Hinrichtungen durchgeführt. Zu deren klar geregeltem Ablauf gehörte es, dass ein Geistlicher die Verurteilten von der Urteilsverkündigung bis zur Hinrichtung auf dem Schafott begleitete. Seine Aufgabe war es einerseits, als Seelsorger, die Verurteilten zu Reue und Buße zu bringen. Andererseits musste er, als Prediger, die Hinrichtung als „furchtbares Straf-Exempel“ und „warnendes Beyspiel“ ausdeuten, wie es in Quellen aus den Jahren 1827 und 1829 heißt.

So stand er neben dem oder der Verurteilten auf dem Schafott und hielt nach der Hinrichtung durch den Scharfrichter eine „Standrede“. Diese gab dem Akt der strafrechtlichen Tötung durch die Exegese biblischer Textstellen einen legitimierenden theologischen Rahmen und war zugleich ein Instrument, um die Anwesenden öffentlich zu ermahnen und zu warnen. Dabei handelte es sich um eine Amtspflicht, der sich die Geistlichen nicht entziehen konnten, selbst wenn sie wollten. Auch der Pfarrer Marti in Glarus fügte sich 1804 dieser Vorgabe: „… aber ich ehre den Willen unserer Obern und erfülle hiermit den mir gegebenen Auftrag.“

Neben theologischer Einbindung und moralischer Belehrung boten diese „Schafott-Reden“ aber auch Raum für weitergehende Überlegungen. In ihnen spiegeln sich unter anderem sozial-, wirtschafts- und erziehungspolitische Probleme der Zeit. Sie machen außerdem die Diskussionen um die Todesstrafe und eine Reform des Justizsystems greifbar, wie sie vor allem im späteren 18. und vehement im 19. Jahrhundert politisch und gesellschaftlich relevant wurden.

Wie positionieren sich die Geistlichen zur Todesstrafe?

So rief 1807 der Vorkämpfer für die Abschaffung der Todesstrafe, Andreas Tschudi, rhetorisch eindrücklich auf der Richtstätte von Glarus aus: „O möchtet ihr doch, ihr vaterländischen Berge und ihr Hügel uns nie mehr bey solchen grauenvollen Scenen hier versammelt erblicken! Möchten wir nie mehr, wegen Mangel an Anstalten, in den Fall kommen, diesen heimischen Boden mit dem Blute unglückseliger Einwohner unsers Vaterlandes entweihen zu müssen!“ Auf der anderen Seite war 1846 der Stadtpfarrer in Luzern froh, „daß wir noch nicht auf jenem Höhepunkt der Humanität und der Aufklärung angelangt sind, wo man der Abschaffung der Todesstrafe das Wort redet und zärtlicher dafür besorgt ist, daß einem Uebelthäter kein Leid widerfahre, als daß der rechtschaffene und ruhige Bür-ger bei seinen höchsten Gütern: bei Tugend und Freiheit, bei Leben und Eigenthum geschützt und gesichert bleibe.“ Darüber hinaus rief er „die Obrigk

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