Die Suche nach dem Guten

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PORTRÄT

MICHEL DE MONTAIGNE

Michel de Montaigne (1533 –1592) entwickelte mit seinen „Essais“ („Versuche“), in denen er verschiedenste Themen diskutierte, eine neue Form des selbstreflektierten Denkens. Vor dem Hintergrund der Bürgerkriege in Frankreich wollte er ausloten, wie die offenbar zu Brutalität neigenden Menschen versöhnlicher miteinander auskommen könnten.

Im Mai 1580 lagen in den Buchhandlungen der 40 000-Einwohner-Stadt Bordeaux – der damals fünftgrößten Frankreichs – druckfrische Exemplare einer zweibändigen Schrift mit einem ziemlich nichtssagenden Titel aus: „Essais“, also „Versuche“, ohne jeden Hinweis darauf, was hier erprobt oder gewagt werden sollte.

Wer neugierig genug war, um das Vorwort aufzuschlagen, fand sich nach der Lektüre nur unwesentlich klüger: Dieses Buch, so sein Autor, sei ein Buch der Aufrichtigkeit („bonne foi“), er werde sich darin ohne jede Beschönigung oder sonstige Verfälschung so darstellen, wie er sei, allerdings ohne sich so vollständig zu entblößen, wie es in früheren, dem natürlichen Leben näheren Zeiten möglich gewesen sei.

Die Familie des Autors zählt zum neuen Adel im Frankreich der Renaissance

Das klingt grundsätzlich interessant, zumindest, sofern der Verfasser eine spannende Person ist. Aber wer war dieser Michel de Montaigne? In den Führungszirkeln von Bordeaux hatte der Name seiner Familie einen guten Klang. Ramon Eyquem, der Urgroßvater des Autors, war ein steinreicher Fisch- und Farbenhändler, der 1477 seine Gewinne in ein Schloss namens Montaigne nebst dazugehörigen Ländereien sowie Hoheitsrechten über die nahegelegenen Dörfer investiert hatte.

Seine Nachkommen sollten jedoch 100 Jahre warten müssen, bis sie sich von Rechts wegen „de Montaigne“ nennen und zum regionalen Adel zählen durften. – Die Wartezeit verkürzte sich 1571 um sechs Jahre, als Ramons Urenkel Michel, der Autor der „Versuche“, von König Karl IX. von Frankreich in den Ritterorden des heiligen Michael aufgenommen wurde, was eine Erhebung in den Adelsstand mit sich brachte.

In Bordeaux hatte Montaigne zeitweise wichtige Ämter inne, hier erschienen auch seine „Essais“ (kolorierter Stich, 16. Jahrhundert).
AKG / Album / Prisma

Der Autor war also ein „Neuadliger“, wie es damals Hunderte gab, allesamt Söhne aus reichen Kaufmannsfamilien, die sich, um ihre bürgerlichen Ursprünge zu verdecken, adliger als die echten Adligen gebärdeten – so auch Michel de Montaigne. Aber wichtig genug für Memoiren und anrüchig genug für sensationelle Enthüllungen war er damit noch nicht. Also musste man weiterblättern und sich fragen, ob das ziemlich teure Buch sein Geld wert war.

Kurz vor seiner Nobilitierung hatte Michel de Montaigne das Amt eines Rates (conseiller) im parlement von Bordeaux (dem höchsten Gericht im Südwesten Frankreichs), das sei

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