Ein Glücksfall für die Historiker

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Ohne die archäologischen Ausgrabungen von Pompeji wäre das Wissen über die römische Geschichte deutlich ärmer. Auf vielen Gebieten lieferte die Stadt am Vesuv neue Erkenntnisse.

BPK / Scala

Theodor Mommsen hatte das richtige Gespür. Am 26. November 1854 schrieb er in einem Brief an seinen Kollegen Wilhelm Henzen: „Es gilt doch vor allem, die Alten herabsteigen zu machen von dem phantastischen Kothurn, auf dem sie der Masse des Publikums erscheinen, sie in die reale Welt, wo gehaßt und geliebt, gesägt und gezimmert, phantasiert und geschwindelt wird, den Lesern zu versetzen.“

Im selben Jahr veröffentlichte der einflussreiche, später mit dem Literatur-Nobelpreis dekorierte Historiker den ersten Band seiner bis heute berühmten „Römischen Geschichte“. Sie stellte, mit den danach erschienenen übrigen drei Bänden, alles in den Schatten, was bis dahin auf dem Buchmarkt zur Geschichte Roms kursierte. Er holte die „Alten“ tatsächlich vom „Kothurn“ (einem hohen Theaterstiefel, wie ihn die damaligen Schauspieler benutzten) herunter und versetzte sie mitten ins pralle Leben. Kein Wissenschaftler vor ihm hatte die Antike so plastisch und anschaulich geschildert. Statt Heroisierung und erhobenem Zeigefinger bot Mommsen dem Publikum Antike pur.

Als Mommsen den Brief schrieb und die „Römische Geschichte“ auf den Markt brachte, war in Pompeji gerade die erste große Phase der Wiederentdeckung und Ausgrabung zu Ende gegangen. Die Gelehrtenwelt und die interessierte Öffentlichkeit waren hoch sensibilisiert für Neuigkeiten vom Golf von Neapel. Zwar hatte Mommsen auch andere Gründe, eine „neue“ römische Geschichte zu schreiben (er wollte so schlicht den Verkauf antreiben), doch wehte bei ihm wenigstens ein Hauch von Pompeji durch die Buchseiten.

Die Stadt unter der Asche fordert die schriftlich tradierte Geschichte heraus

Pompeji änderte den Blickwinkel auf die Antike, insbesondere auf die Geschichte der Römer. Über das Staunen und Bewundern hinaus lieferte die versunkene und wieder auferstandene Stadt neue Themen, die bis dahin keine oder nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatten. Pompeji ermutigte und provozierte dazu, neue Horizonte zu erschließen (und tut dies immer noch).

An erster Stelle steht das Alltagsleben. Pompeji eröffnete ein bis dahin unbekanntes Spektrum an direkten Einblicken in die Art und Weise, wie die Menschen lebten und wohnten, oder, um mit Mommsen zu sprechen, wie sie hassten und liebten, sägten und zimmerten. Mit dem Nachweis des Phantasi

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