DIE MACHT DERFREUDE

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IRGENDWO IN DER PFLICHTERFÜLLUNG IST IHR DER SPASS VERLOREN GEGANGEN, MERKT UNSERE AUTORIN. DOCH WIE KANN ES GELINGEN, IHM MEHR PLATZ IM ALLTAG EINZURÄUMEN? ANTWORTEN LIEFERT EINE NEUE, EINFACHE WIE GENIALE FORMEL FÜR GLÜCKSELIGKEIT

TEXT: SUSANNE KALOFF

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Ich wohne an einem Kanal. Zwischen mir und der Welt liegt ein Graben. Als im Januar die Wasseroberfläche ein wenig zugefroren war, sah es wunderschön aus. Ich schickte meiner Schwester ein Foto. Sie schrieb, vielleicht würde schon bald Schlittschuh vor meinem Fenster gefahren werden. Und spätestens im Frühling Stand Up Paddle! Ja, ein Heidenspaß würde das werden, das Zugucken! Da fiel es mir zum ersten Mal auf, wie passiv ich Freude erlebe. Niemals wäre es mir in den Sinn gekommen, selbst Teil davon zu sein, mitzumachen, mich kaputtzulachen, es zu erleben, selbst auf die Nase zu fliegen, vielleicht Hand in Hand mit einer anderen Person. Sei es meine Schwester, eine Freundin, mein Sohn. Irgendwie machte mich das traurig.

Meine Freundin Hanna benutzt das Wort in letzter Zeit häufig in ihren Nachrichten an mich, sie hat so viel davon, seit sie bemerkte, dass er ihr in Hamburg abhandengekommen war. Sie wagte, für eine Weile nach Athen zu gehen, sich und neue Menschen kennenzulernen. Letzte Woche hatte sie ihn bei einem Druckkurs, die Woche davor beim Balletttanzen, wo sie sich nach Jahren wieder angemeldet hatte: Spaß. Ich sehe sie aufblühen, bin neidisch und frage mich, wann ich aufgehört habe, Dinge zu tun, die vielleicht frivole Zeitverschwendung sind, aber mich mit Glückseligkeit erfüllen.

MEHR KRIBBELN, BITTE

Vor ein paar Jahren habe ich auch mal aus dem Nichts wieder mit Ballett angefangen, manche fragten mich damals, was das bringen soll in meinem Alter. Ich antwortete kleinlaut: Es macht mir einfach Freude. In unserer Gesellschaft zählt Spaß an der Freude wenig, es muss schon ein bisschen Sinn machen, was bringen, wenn schon kein Geld, Ansehen, Erfolg, dann dich doch wenigstens irgendwie weiterbringen in Richtung Selbstoptimierung. Yoga machte mir auch mal einen Riesenspaß. Als ich vor 30 Jahren damit begann, war es neu, eine Herausforderung. Heute mache ich die Asanas aus Vernunft. Ich habe nie Rückenschmerzen, aber ich habe nur noch selten große Freude dran.

Woran liegt das? Vielleicht daran, dass ich genau weiß, was kommt, keine Überraschung mehr, keine Unsicherheit, kein Kribbeln mehr zwischen Herz- und Scheitelchakra. Dafür Pflichterfüllung, sicherer Stand auf einem Bein und der Stammplatz für meine Matte.

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