In der Stimme LIEGT DIE KRAFT!

5 min lesen

Von klein auf lernen Mädchen leise zu sein, die eigene Stimme zu unterdrücken. Dabei ist sie ein mächtiges Werkzeug des Selbstausdrucks. Unsere Autorin hat sich auf die Suche nach ihrer gemacht

TEXT: SUSANNE KALOFF

LEBEN

GUTE VORSTELLUNG Ohne eine Person gesehen zu haben, vermittelt uns die Stimme oft schon ein konkretes Bild der sprechenden Person. Neben dem Geschlecht können wir am Telefon auch Alter und sogar Körpergröße sehr genau einschätzen

Als es mir das letzte Mal die Stimme verschlug, saß ein Typ mit einem Joint auf meinem Balkon. Ich kannte ihn nicht, aber als er ein paar Minuten zuvor an meiner Tür geklingelt hatte, funktionierten meine Stimmbänder noch astrein. Ich fragte mein Date: „Möchtest du einen Wein trinken?“, und klang wie Kermit der Frosch. Vielleicht weil mir erst dann dämmerte, dass es möglicherweise keine kluge Idee gewesen war, einen fremden Kerl in mein Zuhause zu bitten. Früher dachte ich immer „Mir hat es die Stimme verschlagen“ sei nur so eine Redensart, aber nun kam vor Anspannung kein Ton mehr raus. Man ging aus Mangel an Worten direkt zum Knutschen über. Gut fühlte sich all das aber nicht an.

Sprechen, nicht schämen

Die Stimme ist viel mehr als nur Transportmittel für den Inhalt, den wir rüberbringen wollen. Sie ist auch zuverlässiger Kompass, um unsere emotionale Lage zu checken. Auch unserem Umfeld geben wir damit, gewollt und ungewollt, Informationen. Im besten Fall folgt einem unguten Gefühl ein deutliches Nein. Aber das muss man sich erst mal trauen, dazu braucht es eine starke Stimme, was allein aus feministischer Sicht, aus den aktuellen Vorwürfen gegen Rammstein und MeToo-Fällen relevanter ist als jemals zuvor. Viele Frauen haben in der Kindheit bereits gelernt, dass Mädchen schön leise sein und auf keinen Fall auffallen sollen. Wenn sie ihre Stimme dennoch erheben, bricht sie oft, wird piepsig hoch, und dann werden sie belächelt oder hysterisch genannt. Bei Aufregung bleibt sie auch schon mal ganz weg. Schweißflecken kann man vielleicht noch mit Stoff verstecken, die Stimme jedoch ist unbestechlich und interessanterweise mit sehr viel Scham besetzt.

Ist es nicht schräg, dass sogar der verbale Ausdruck eines Orgasmus manchmal unterdrückt wird „wegen der Nachbarn“? Oder aus Angst, aus der Rolle zu fallen und etwas von sich preiszugeben, was eigentlich immer schön unter Verschluss gehalten wird: der authentische, freie Selbstausdruck. Sonderbar auch, dass wir selten dankbar oder stolz auf unsere Stimme sind. Meist ertragen wir sie nicht mal, wenn wir sie auf Band hören. Um alles

Dieser Artikel ist erschienen in...

Ähnliche Artikel

Ähnliche Artikel