HAB’ ICH ZU VIEL GESAGT?

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Hab’ich zu viel gesagt?

Sex-Geschichten, Frauenarzt-Besuche, Mental Health: Wer viel von sich preisgibt, kann nahbar und sympathisch wirken – oder unangenehm übergriffig. Zwei Cosmo-Autorinnen, zwei Meinungen: Ist Oversharing die Abkürzung hin zu tiefer Freundschaft oder braucht echtes Vertrauen mehr Zeit?

HIER REIN, DA RAUS
In einer aktuellen Studie der Pennsylvania State University haben Wissenschaftler*innen klassische Oversharer im Netz analysiert. Die meisten, so das Ergebnis, erinnern sich kaum mehr daran, welche Informationen sie mit der Welt geteilt haben
ILLUSTRATION: TYLER SPANGLER

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es gibt wohl nichts Langweiligeres als einen Abend lang neben Menschen zu sitzen, die nur über das Wetter und die Deutsche Bahn schimpfen. Da bleibe ich innerlich so stumpf wie beim Warten auf den nächsten Zug. Erst sobald es tiefer geht, persönlich wird, springe ich an. Dann spüre ich diese besondere zwischenmenschliche Spannung, bei der man sich auf einer anderen Ebene trifft. Ein gegenseitiges Verstehen.

Aus meinem Hang zum Oversharen, also zum „Preisgeben von zu viel Information“, sind schon tiefe Freundschaften entstanden. Etwa jene mit meiner ältesten Freundin Pedi, der ich am ersten Tag der Einschulung auf der Wiese hinter der Turnhalle heulend erzählte, dass mein Vater auszieht. Ohne Oversharing hätte sich wohl auch nie diese innige Instagram-Brieffreundschaft mit Irina entwickelt. Wir vertrauten uns Hässliches und Schönes an, obwohl wir uns noch nie im echten Leben gesehen haben. Vielleicht hätte sich auch nicht die Bekanntschaft mit dem Typen ergeben, dem ich am Strand von Hydra mal ungefragt von meiner Vorliebe für, äh, naturbelassene Schambehaarung vorschwärmte.

Man muss Wildfremden bei einem Job-Dinner ja nicht direkt seine witzigsten Tinder-Storys pantomimisch vorspielen – das nämlich, weiß ich aus Erfahrung, endet in einem emotionalen Hangover. Im flauen Gefühl, zu pikante Storys oder seelische Abgründe offenbart zu haben. Aber etwas von sich preiszugeben, das über Small Talk hinausgeht, ist heilsam. Und sehr wichtig für zwischenmenschliche Beziehungen, denn nur wer es wagt, die flachen Gewässer zu verlassen, schafft Verbindung.

Wir sind alle so „gated“, versuchen unser Inneres zu beschützen, aus Furcht, uns verletzbar zu machen. Aber das ist nun mal der seelische Preis für Connection, und eine Schwingtür, die sich in beide Richtungen öffnet: Ich zeige dir mein wahres Selbst, und es ist ungefährlich, wenn du mir auch deins zeigst. Oversharing, also mehr zu offenbaren, als es gesellschaftlich üblich ist, schafft Vertrauen. In einer Welt, in der so viel Angst gegenüber dem ande

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